The Project Gutenberg eBook of Hochtouren im tropischen Amerika, by Hans Meyer
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Title: Hochtouren im tropischen Amerika
Author: Hans Meyer
Editor: Karl H. Dietzel
Release Date: May 16, 2023 [eBook #70774]
Language: German
Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HOCHTOUREN IM TROPISCHEN AMERIKA ***
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt.Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
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Reisen
und
Abenteuer
32

Hans Meyer

Leipzig / F. A. Brockhaus / 1927
Copyright 1925 by F. A. Brockhaus, Leipzig
Inhalt.
Seite | |
Hans Meyer. Von Dr. Karl H. Dietzel | 5 |
Einleitung | 12 |
Der Chimborazo | 23 |
1. Der Berg | 23 |
2. Der Anmarsch | 35 |
3. Die erste Besteigung | 50 |
4. Die zweite Besteigung | 67 |
Der Cerro Altar | 83 |
Der Antisana | 104 |
1. Der Anmarsch | 104 |
2. Die Besteigung | 112 |
Der Cotopaxi | 128 |
1. Der Berg | 128 |
2. Der Anmarsch | 136 |
3. Die Besteigung | 145 |

[5]
Hans Meyer.
Das vorliegende Buch »Hochtouren im tropischenAmerika« ist die Fortführung des Bandes 25 dieserSammlung, der Hans Meyers Hochtouren im tropischenAfrika gewidmet war. Der Lebensgang Hans Meyers ist dortausführlich geschildert worden, und deshalb seien hier dieHauptdaten nur kurz wiederholt.
Hans Meyer wurde am 22. März 1858 in Hildburghausen(S.-Meiningen) geboren und kam 1874 mit der Übersiedlungdes väterlichen Verlagsunternehmens, des BibliographischenInstituts, nach Leipzig. Seine Studentenjahre, indenen er sich hauptsächlich der Geographie, der Geschichte undden Staatswissenschaften widmete, führten ihn nach Leipzig,Berlin und nach Straßburg, wo er auch promovierte. Demväterlichen Verlag hat er den Hauptteil seines arbeitsreichenLebens bis zum Jahre 1915 geweiht, dann erhielt er einenRuf als Professor der Kolonialgeographie und Kolonialpolitikund als Direktor des Kolonialgeographischen Instituts an dieUniversität Leipzig, an der er noch heute wirkt.
In die Zeit vor seiner akademischen Tätigkeit fallen seinezahlreichen und weiten Reisen. Sie führten ihn 1881–1883[6]um die ganze Erde, 1886/87 nach Südafrika und Ostafrika,1888 und 1889 ebenfalls dorthin, wobei es ihm gelang,als Erster den Gipfel des 6010 Meter hohen Kilimandjarozu erklimmen. 1894 weilte er auf Tenerife und bestieg denPik, 1899 arbeitete er abermals am Kilimandjaro, 1903 inEcuador und 1911 zum letzten Male in Ostafrika, dasseiner Länge nach durchquert und in seiner nordöstlichen Ecke,dem Zwischenseengebiet, näher untersucht wurde. Auch diesmalwurden zwei Hochgipfel, der 4500 Meter hohe Karissimbiund der aktive Niragongovulkan, bezwungen.
Die Früchte dieser Reisen hat Hans Meyer zunächst inmehreren größeren Reisewerken niedergelegt. Der Band 25dieser Sammlung und auch der hier vorliegende Band bringenAuszüge davon. Aber darüber hinaus hat der Gelehrte eineumfassende rein wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet. Sie nahmihren Ausgang anfänglich von seiner literarischen Arbeit imBibliographischen Institut. Die Sammelwerke »Das deutscheVolkstum«, zu dem er selbst einen einleitenden Abschnittschrieb, und die Sieverssche »Länderkunde« verdanken ihm ihreEntstehung, und grundlegend wurde sein »Deutsches Kolonialreich«,zu dem er den starken Band Deutsch-Ostafrika beisteuerte.Neben diese rein wissenschaftlichen Arbeiten tretenzahlreiche mehr praktisch eingestellte Aufsätze und Bücher.Durch seine Tätigkeit als Mitglied des Kolonialrats, als Vorsitzenderder Landeskundlichen Kommission des Kolonialamts,als Vorstandsmitglied der Kolonialgesellschaft und desKolonialwirtschaftlichen Komitees hat er jahrzehntelang zu denmaßgebenden Persönlichkeiten der deutschen Kolonialpolitik gehört,zahlreiche Ehrungen dafür empfangen und, abgesehen[7]von den großen Kosten seiner sämtlich aus eigenen Mittelnbestrittenen Reisen, auch große persönliche Opfer gebrachtdurch reiche Stiftungen an die Berliner und Leipziger Museenund Universitäten. Sein schönes Leipziger Heim, in demseine liebenswürdige Gemahlin, eine Tochter Ernst Haeckels,waltet, ist wohl den meisten der führenden deutschen undaußerdeutschen Geographen und Kolonialpolitiker in freundlicherErinnerung.
Nach drei großen Gesichtspunkten läßt sich Hans MeyersLebensarbeit gliedern. Er begann mit tropischen Vulkan- undHochgebirgsstudien; daraus erwuchs ihm, weil sich dieseArbeit zu einem wesentlichen Teil in den deutschen Kolonienabspielte, die Beschäftigung mit anfangs nur deutschenkolonialpolitischen Fragen, und sie wiederum führten ihn zurLänderkunde, die er für die deutschen Kolonien begründetund seit seiner Berufung an die Leipziger Universität zu einerselbständigen kolonialgeographischen Disziplin ausgebaut hat,wo sie von ihm nunmehr auf alle Kolonialländer der Erdeausgedehnt und in erster Linie als überseeische Länderkundegelehrt wird.
Die Hochgebirgsforschung des Gelehrten wurzelt in denGlazialstudien, die Penck und Brückner seit den achtzigerJahren in großzügiger Weise und mit den überraschendstenErgebnissen für die Alpen durchführten und bei denen sie eineeinstmals viel stärkere Vereisung des Gebirges zur Eiszeit,die in mehrmaligen Intervallen auf- und abebbte, feststellten.Die Lösung der Frage, ob diese Eiszeit sich nur aufdie gemäßigten Zonen beschränkt oder ob sie die ganze Erdeumfaßt hatte, ob sie sich abwechselnd auf der Nord- und der[8]Südhemisphäre abgespielt oder gleichzeitig den ganzen Erdballbetroffen hat, war die Hauptaufgabe, die sich Hans Meyersetzte. Gefunden werden konnte diese Lösung nur durch eineeingehende Untersuchung der wenigen tropischen Gebirge, diesich bis in so große Höhen erstrecken, daß sie noch heuteeinen Schneemantel tragen, also in erster Linie am Kilimandjaround an den Vulkanen Hochecuadors und Kolumbiens.Die hochragenden Schneegipfel des Ruwenzori in Afrika unddes innern Neuguinea waren gegen das Ende des 19. Jahrhundertsnoch sehr wenig bekannt.
Die Voraussetzung für solche Untersuchungen warenEigenschaften des Forschers, die nicht ohne weiteres für jedenReisenden zutreffen. Es handelte sich zunächst um ein Arbeitenin sehr großen Höhen, die nur selten von Menschen erreichtwerden und die eine durchgebildete alpinistische Technikund einen außergewöhnlich kräftigen Organismus erfordern.Das zweite hatte Hans Meyer eine gütige Natur mitgegeben,das erste hat er sich in langem und ausdauerndem Trainingin europäischen Hochgebirgen erwerben müssen. Als eineweitere, viel größere Schwierigkeit kam aber hinzu die Lagedieser Bergriesen in den abgelegensten Teilen der Tropen.In den achtziger Jahren war eine Expedition schon zum Fußdes Kilimandjaro ein umständliches und keineswegs gefahrlosesUnternehmen; es führte den Reisenden in wochenlangenMärschen durch tropisches Fieberland, das einen europäischenOrganismus schwächen mußte, und am Ziel waren schließlichin wenigen Tagen klimatische Unterschiede zu überwinden, diesonst nur in wochenlanger Anpassung allmählich erträglich gemachtwerden. Weiter erschwerend wirkte in diesen Gegenden[9]auch das Fehlen aller Hilfsmittel, die sonst dem europäischenBergsteiger als selbstverständlich erscheinen und die eine Organisationdes ganzen Unternehmens erforderten, die bisdahin noch nicht erprobt war und von Hans Meyer erstgeschaffen werden mußte. In den Hochanden Ecuadorswaren die Verhältnisse nicht so primitiv, die Schwierigkeitentürmten sich nicht ganz so hoch auf, aber ihre Überwindungverlangte doch eine praktische Erfahrung, Umsicht und Willensstärke,über die nur wenige verfügen.
Hans Meyer hat die Ziele, die er sich gesteckt hatte,in vollem Umfang erreicht. Es ist von ihm der Nachweiserbracht worden, daß das Phänomen der Eiszeit mit ihrenIntervallen eine allgemeine, wohl in kosmischen Vorgängenihre Ursache findende Erscheinung der ganzen Erde gewesenist, und auf seinen Schultern haben Nachfolger eine ganzeWissenschaft entwickelt und haben entdeckt, daß auch infrüheren Abschnitten der Erdgeschichte, die weit vor der letztenEiszeit liegen, bereits Kälteperioden mit ganz ähnlichen Erscheinungenunsere Mutter Erde heimgesucht haben.
Die Reise in die Hochanden Ecuadors ist der Schlußsteindieser Untersuchungen Hans Meyers gewesen. Sie führteihn und seinen Begleiter, den Münchner Landschaftsmaler undAlpinisten Rudolf Reschreiter, im Jahr 1903 über dieLandenge von Panama nach dem Hafen von Ecuador, Guayaquil,dann auf das Hochland nach Riobamba hinauf zunächstin die Westkordillere auf den Chimborazo und an denCarihuairazo, die über der Mulde von Riobamba thronen,weiter hinüber zur Ostkordillere auf den Cerro Altar, fernerhinim interandinen Längstal nach Latacunga und von da auf[10]den Cotopaxi und an den abseits stehenden, schwer zugänglichenQuilindaña; dann längs der Hochlandstraße an denVulkanen des mittleren Ecuador, dem Iliniza, Corazon undRumiñagui, vorbei nach der Landeshauptstadt Quito; vonQuito quer über die interandine Mulde zum Antisana auf derOstkordillere und wieder zurück zur Hauptstadt. Danach ginges denselben Weg nach Riobamba zurück, nochmals zum Chimborazohinauf, und hiernach mit der Bahn wieder hinab nachGuayaquil; endlich über Panama nach New York und heimwärtsnach Deutschland.
Die ganze Reise hat nur ein halbes Jahr in Anspruchgenommen, überrascht aber durch die Vielseitigkeit ihrerErgebnisse, die sich nicht bloß auf die Glazialmorphologiebeschränkten, sondern eine Fülle neuen vulkanologischen, geologischen,botanischen und völkerkundlichen Materials beibrachten.Möglich war das nur dank der großen ReiseerfahrungHans Meyers, die mit verhältnismäßig geringemKraftaufwand die Erreichung auch weitgesteckter Ziele gestattete.Der vorliegende Band bringt aus dem darüber veröffentlichtenReisewerk »In den Hochanden von Ecuador« dieEpisoden der Hochtouren auf den Chimborazo, Cerro Altar,Cotopaxi und Antisana zum Abdruck.
Die Gabe Hans Meyers, ein gründliches theoretischesWissen praktisch auszuwerten, hat den Erfolg dieser Reiseverbürgt und ist, wie schon betont, einer der Hauptcharakterzügedes Gelehrten. Seine eigenartige Laufbahn, die ihn vonder Wissenschaft zur Praxis und von der Praxis wieder zurückzur Wissenschaft führte, hat diesen wesentlichsten Teil seinerGelehrtenpersönlichkeit noch schärfer zur Ausbildung kommen[11]lassen. Auf ihm beruhen letzten Endes auch die Erfolge seinerDozententätigkeit, die er trotz seiner 67 Jahre mit erstaunlicherkörperlicher und geistiger Frische ausübt und in der erschon eine stattliche Anzahl von seinen Idealen erfüllter undin seinem Sinne auch weiter tätiger Schüler herangebildet hat.In seinen literarischen Arbeiten kommt diese Gabe zumAusdruck in der großen Klarheit und Anschaulichkeit derDarstellung, die auch die Schilderungen dieses Buches auszeichnen.
Leipzig, im August 1925.
Dr. Karl H. Dietzel.
[12]
Einleitung.
Im südamerikanischen Freistaat Ecuador, der seinenNamen vom Äquator hat, der ihn durchschneidet, betretenwir ein Land, das mit rund 300000 QuadratkilometerFläche zwanzigmal so groß ist wie Sachsen,aber kaum anderthalb Millionen Bewohner hat, alsonur ein Drittel soviel wie Sachsen. Er gliedert sichin drei ganz verschiedene Teile: 1. das dem pazifischenOzean benachbarte Küstenland, 2. das mittlere, gebirgigeEcuador und 3. das etwa dreimal größere Tiefland imOsten, den sogenannten Oriente. Das letztere Gebiet istein ungeheueres, von den Amazonaszuflüssen durchschnittenesWaldland, heiß, feucht, fieberdrohend und nur dünnbewohnt von wilden Indianerstämmen, zwischen denen sicheinige wenige Missionsstationen angesiedelt haben, im übrigenunerforscht und unbekannt. Der mittlere, kleinere, gebirgigeTeil Ecuadors ist das Land der Kordilleren und der Hochebenen,die heute, wie einst zur Zeit der Inkas, das Gebietder Kultur sind. Vom breiten tropisch-fruchtbaren Küstenstrichsteigen wir auf mehreren, von großartigem Urwaldbedeckten Stufen zum kühlen Hochland an, das in der ganzenErstreckung Ecuadors von zwei parallelen Gebirgsketten,der West- und der Ostkordillere, und den zwischenbeiden eingebetteten, durchschnittlich 3000 Meter hohen Hochebenen[13]oder Hochbecken gebildet wird. Wegen seiner Lagezwischen den beiden Andenketten wird das Hochland das»interandine« Hochland genannt. Wie der Abfall der Westkordillerenach Westen zum Küstenland, so ist der Abfallder Ostkordillere nach Osten zum Amazonastiefland hochund steil, so daß das interandine Hochland wie eine umgestürzteriesenhafte Schüssel auf der Kontinentalmasse Südamerikasliegt.
Von den beiden Kordilleren ist die Ostkordilleredie ältere. Sie besteht, soweit sie nicht von jungvulkanischenEruptivmassen bedeckt ist, aus kristallinen Schiefern, Gneisen,Tonschiefer, schiefrigen Diabasen, Grünschiefer usw., die vonGraniten und Dioritmassen durchbrochen sind. Sehr wahrscheinlichsind in den genannten kristallinen Gesteinen paläozoische,triassische, jurassische und zum Teil auch kretazeischeFormationen in einem Zustand dynamomorpher Umwandlungzu finden. Diese Ostkordillere ist durchschnittlich die höhereund wird deshalb von den Landesbewohnern gewöhnlichCordillera real (Hauptkordillere, nicht »Königskordillere«)genannt.
Die Westkordillere ist die jüngere. Sie ist, soweitsie nicht jungvulkanisch ist, hauptsächlich aus dunklenSchiefern, aus Sandsteinen, Kalksteinen und Konglomeratenaufgebaut, die alle der Kreideformation angehören und vonwahrscheinlich ebenfalls kretazeischen Eruptivgesteinen, wieDiorit, Diabas, Porphyrit u. a., durchsetzt werden.
Auf diese beiden alten Kordilleren und teilweise auchauf die Hochbecken zwischen ihnen sind die gewaltigenVulkane aufgesetzt, die dem Hochland von Ecuador seinenbesondern Charakter geben. Sie sind geologisch jung, wahrscheinlichalle quartär, und haben mit ihren Ausbruchsmassen[14]einen großen Teil der Kordilleren, auf denen sie stehen, undfast das ganze Hochplateauland dazwischen verschüttet undunter sich begraben. Auf den Faltenzügen der ungeheuerlangen Andenketten sitzen sie obendrauf wie Reiter auf demSattel oder wie Schornsteine auf dem Dachfirst. In Reihenvon kolossaler Ausdehnung und bis zu 300 Kilometer vonder Küste entfernt, stehen sie da nebeneinander. DieseBindung an das riesige Faltengebirge können wir einfach soerklären, daß hier durch die gewaltigen Falten der Zusammenhangder Erdrinde gelockert ist und innere Zerreißungenoder Aufblätterungen der Schichtenkomplexe stattgefundenhaben, die dem von unten aufdringenden Magmageringern Widerstand leisten als die durch keine Faltenbildunggestörten Teile der Erdkruste.
Bei der großen Längenausdehnung der Kordilleren stehenin Ecuador die Vulkane so weit voneinander entfernt, daßsie nicht das Bild einer zusammenhängenden Kette, sonderneiner von sehr weiten Lücken unterbrochenen Reihe ausmachen.Die Landschaft bietet deshalb kein so großartigesPanorama wie ein schneebedecktes Kettengebirge, etwa derKaukasus oder Himalaja. Die ungeheure Flächenentwicklungdes Hochlandes, die langen sanften Linien der vulkanischenAufschüttung, der Mangel an Bergketten mit ewigem Schnee,die Seltenheit von schroffen, zackigen Bergformen, die Monotonieder alles überziehenden, olivenbraunen Farbe der Gras-und Tuffdecken, die geringe Ausdehnung der Bodenkultur:alles vereint sich zu einem Landschaftscharakter, der mitdem alpinen wenig gemein hat. Er ist »andin«. Aber jedereinzelne der Vulkankolosse ist eine unvergleichlich grandioseErscheinung, am meisten gerade jene, die allein stehen, wieder Chimborazo oder der Cotopaxi. Diesem Eindruck kann[15]auch der Umstand nur wenig Abbruch tun, daß die Riesenberge,die im Chimborazo bis zu einer Maximalhöhevon 6310 Meter aufragen, auf dem bereits durchschnittlich3000 Meter hohen Hochland als Basis aufsitzen; denn dieMehrzahl ist tief herab mit Firn und Gletschern bedeckt,am meisten der Chimborazo, der Antisana und der Cayambe.Durchschnittlich liegt die Firn- und Eisgrenze, die hier imtropischen Hochgebirge meist zusammenfallen, bei 4700 bis4800 Meter, die untere Grenze einzelner Gletscherzungen abernoch 3–400 Meter tiefer. Auch die drei tätigen Vulkane desLandes, der Sangay, der Cotopaxi und der Tunguragua,sind großenteils in einen Eismantel eingehüllt, und zwarsind es auf allen Bergen die Ost- und Nordostseiten, die diemächtigsten Eisdecken tragen, weil das ganze Jahr hindurchdie vorherrschenden Winde im Hochland als Passate ausOsten kommen, von wo sie aus den weiten warmfeuchtenAmazonasniederungen beständig große Wasserdunstmengenmitbringen und in Stürmen und furchtbaren Gewittern meistauf den Ostflanken der Gebirge als Regen, Hagel undSchnee niederschlagen.
Die regenreichste, wärmste Jahreszeit im Hochland sinddie »Invierno«-Monate März bis Mai, in geringermMaß Oktober und November. Die schönsten, regenärmsten,kühlsten Monate sind der Juni, Juli und August, dersogenannte »Verano«. Diese Verano-Monate sind für dieHochgebirgstouren insofern günstig, als dann auf der Westkordillereund im ganzen interandinen Hochland bei vorherrschendemOstwind relativ milde Witterung ist und wenigerStürme und Gewitter wüten. Ich hatte deshalb meineReise auf diese drei Monate verlegt; demzufolge habenwir von den Wettergewalten relativ wenig zu leiden gehabt.[16]Nur auf der viel niederschlagreichern Ostkordillere trafenwir es meist schlecht, denn dort ist in den hohen Regionengerade der Verano die Periode der Stürme, der Regengüsse,der Nebel und Schneefälle.

In den Sturm- und Gewittermonaten März bis Maiist der Reisende im andinen Gebiet über den Hochebenenso gut wie schutzlos dem Toben der Elemente preisgegeben,weil kein Wald, kaum ein Baum in den Regionen über3800 Meter steht und das ganze Land in dieser Höhe, alleEbenen, Hügel und Berge bis zu 4500 Meter hinauf, infolgeder den Baum- und Strauchwuchs verhinderndenWinde, Trockenheit und Kälte nur mit harten Gräsernund niedrigen Stauden bewachsen ist. Das ist die immergraubraune Region der Páramos, der Hochsteppen,die gefürchtet ist wegen ihres rauhen, wechselvollen Klimas,das einem permanenten deutschen März-April gleicht.Die Páramoregion ist ganz ungeeignet zum Feldbau, siewird nur bewohnt von wenigen indianischen Viehhirten,die hier die halbverwilderten Schaf- und Rinderherdenihrer weißen Herren beaufsichtigen, und durcheilt vom flüchtigenPáramo-Hirsch und dem König der Lüfte, dem Kondor.

Aber auch in der Trockenzeit sind die Reisen im interandinenHochland dadurch beschwerlich, daß der Reisendeunausgesetzt auf elenden Maultierwegen mit heftigem Windund widerwärtigem Staub zu kämpfen hat und nach desTages Arbeit nur in den wenigen größeren Ortschaften undStädten Gasthäuser findet, die aber nach europäischen Begriffenmeist Spelunken vierten und fünften Ranges sind.Im übrigen ist der Reisende auf »Tambos«, die Unterkunftshüttender Lasttiertreiber (Arrieros), angewiesen, woman höchstens den landesüblichen Locro (Wasserkartoffeln[17]mit Zwiebeln) zu essen bekommt und in einem von Ungezieferwimmelnden Raum auf dem nie gereinigten nackten Lehmbodenneben Indianern, Hunden und Schweinen schlafenmuß, wenn man nicht sein eigenes Zelt, Feldbett undProviant mit sich führt. Dies aber tat ich auf meiner ganzenReise, was mich von ecuatorianischer Gastlichkeit unabhängigmachte.

Es war mir schon im Gegensatz zu meinen afrikanischenReisen als eine ideale Reiseart erschienen, daß man nicht wiedort mit einem schwerfälligen Troß von menschlichen Trägernumherziehen muß, sondern daß man nur mit wenigen Pferdenund Maultieren reist, die von zwei oder drei Treibern besorgtwerden, und bloß in den den Tieren unzugänglichen Hochgebirgsregioneneinige indianische Träger braucht, die aberan jedem Ort neu angeworben und nach der betreffendenBergtour gleich wieder entlassen werden. Auch die acht biszehn Last- und Reittiere, die ich regelmäßig mitführte,hatte ich anfangs nur für eine Tour gemietet; da aber sieund ihre zwei Treiber, die Kolumbianer, nicht Ecuatorianerwaren, sich als außerordentlich leistungsfähig erwiesen, behieltich sie während der ganzen Reise und konnte ihnenschließlich das Schwerste unbedenklich zumuten.
Wir waren gewöhnlich von Sonnenaufgang bis Spätnachmittagunterwegs, und wenn wir dann zu einem Tambo oderHato (Hirtenhütte) kamen oder im einsamen Páramo die Zelteaufschlugen, wurden die Tiere losgelassen, um sich ihre Nahrungselbst zu suchen. Stallfütterung gibt es nicht, aber Graswächst überall in Unmasse; freilich ist es so hart und trocken,daß man die Grasländer der Páramos allerwärts nur Pajonales,Strohfelder, nennt. Es ist »Heu auf dem Halm«,wie ein Reisender die Gräser in Südwestafrika genannt hat.[18]Nur wenn man in bewohntere Gegenden kommt, finden dieTiere in den umzäunten, künstlich bewässerten »Potreros«besseres Gras, oder sie bekommen ein Bündel »Alfalfa«(Medicago sativa) oder »Cebada« (körnerhaltiges, ungedroschenesGerstenstroh) zu fressen, wofür natürlich besonderszu zahlen ist.
Proviant für uns selbst brauchte ich immer nur füracht bis vierzehn Tage mitzunehmen, da wir nach jedereinzelnen Tour wieder in eine der Hochlandstädte Riobamba,Latacunga und Quito als Standquartier zurückkehrten, wowir uns neu verproviantieren konnten. Alkohol haben wirauf den Touren nur in medizinischen Dosen getrunken, auchTabak nur im Quartier oder Lager geraucht, und auch dannnur sehr wenig.
Wegen der 1903 schon Mitte August beginnenden Regenzeithat unser Aufenthalt im Hochland selbst nur 2½Monategedauert. Aber durch äußerste Anspannung aller beteiligtenKräfte von Mensch und Tier vermochte ich in dieser kurzenZeit des »Verano« doch mein Programm durchzuführen. DieHerren Ecuatorianer im Hochland kennen und wissen von dergroßartigen Gebirgswelt, die sie umgibt, gar nichts. Niemalshat ein Ecuatorianer aus eigenem Antrieb einen Schneebergbestiegen, und für das, was wir dort wollten, zeigten nurganz wenige Verständnis und wirkliches Interesse. Nur dieWinke, die mir deutsche Landsleute und zwei oder drei ecuatorianischeHerren in Riobamba und Quito aus langer Erfahrunggeben konnten, waren mir wirklich von Nutzen, aberauch sie erstreckten sich nicht in die eigentliche alpine Regiondes Gebirges. Dort ist man einzig und allein auf sich selbstangewiesen.
[19]
38 Tage Seefahrt, davon die Hälfte der Zeit auf einemschmierigen, überfüllten Küstendampfer im Pazifischen Ozean,der das Reisen zur Qual machte, hatten mich und meinenBegleiter, Herrn Maler Rudolf Reschreiter, endlich am 8. Juni1903 nach dem ecuatorianischen Haupthafen Guayaquil gebracht.Nach nur dreitägigem, den nötigsten Vorbereitungen gewidmetemAufenthalt dampften wir in der Frühe des10. Juni auf einem stark besetzten Raddampfer den breitenGuayasfluß in reißender Strömung aufwärts und zumanderen Ufer hinüber, wo der Ort Durán liegt, der Ausgangspunktder Kordillerenbahn. In regelmäßigem Betriebwar damals die weitaus schwierigste Strecke durch dassumpfige Unterland und am urwaldbedeckten, tief zerschluchtetenWestabfall der Kordillere empor bis Alausi (2390 Meter),und im Ausbau die bereits im interandinen Hochland gelegeneStrecke von Guamote nach Riobamba (2801 Meter). Erstdurch sumpfig-heiße Niederung, dann in einem dichtenBlättermeer, so daß wir weithin wie in einem dunkelgrünenTunnel durch die Laubmassen fahren, dann wieder in einemvon tropischem Bergurwald erfüllten Tal, schließlich in unglaublichenZickzacks an steilen Felswänden hinauf zieht dieBahn nach Alausi empor. Von dort brachte uns ein zweitägigerRitt durch hügeliges grasiges Tuffland über denbreiten Rücken des Salarunespasses (3603 Meter) in dieweite graubraune Muldenebene von Riobamba und nachder kleinen gleichnamigen Stadt (12000 Einwohner), diemit ihren gepflasterten Straßen, ihren meist einstöckigen,aus Tuffquadern erbauten Häusern, einigen steinernen Kirchenund einer Reihe kleiner Läden einen zivilisierteren Eindruckmacht, als ich nach den Schilderungen früherer Reisendenvermutet hatte.
[20]
Unsere Ankunft in dem verkehrslosen Städtchen war eingroßes Ereignis. Der Gobernador empfing uns infolgemeiner amtlichen Empfehlung mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit,stellte mir ein Rundschreiben an alle »Jefespoliticos« seiner Provinz in Aussicht und versprach Begleitung,wohin wir wollten; aber er tat nichts. Auch vonden anderen Spitzen der Riobambaer Gesellschaft, bei denenich Empfehlungsbriefe abgab, ward uns die allerhöflichsteAufnahme zuteil, und abends wimmelte es in unserm Gasthausvon Besuchern, die neugierig unsere Ausrüstung mustertenund rätselhafte Dinge, wie Theodolit, Eispickel und Steigeisen,anstaunten. Aber nicht ein einziger war imstande, unseinige Auskünfte darüber zu geben, wie und wo man ambesten dem Chimborazo zu Leibe gehen könnte, um seineSchneeregion zu erreichen. Kein einziger wußte, wie es oberhalbder Schneegrenze aussieht.
Eine rühmliche Ausnahme machten die Herren GebrüderCordovez, smarte Geschäftsleute kolumbianischer Abkunft, diesich viel in der Welt umgesehen hatten, perfekt Englischsprachen und Interesse für unsere wissenschaftlichen Zielezeigten. Zwar wußten auch sie nichts Näheres vom Chimborazo,aber sie halfen uns beim Engagement der nötigenLeute und Tiere. Da waren vor allem zwei zuverlässigekolumbianische Arrieros, namens Moran und Spiridion,mit guten Reit- und Lasttieren, die ich während der ganzenEcuadorreise behielt; dann ein Angestellter der Herren Cordovez,ein vielgewandter junger Dalmatiner, Don AlfonsoSantiago, der über Peru nach Ecuador verschlagen wordenwar, Englisch, Spanisch und das Kitschua der Hochlandindianersprach und mir auf der ganzen Reise als Reisemarschallund Dolmetscher (Mayordomo) diente, wenn ich auch[21]oft nahe dran war, ihn wegen seiner üblen Charaktereigenschaftenwegzujagen. Und schließlich verschafften sie mir Empfehlungenan die Wirtschafter einiger um den Chimborazoverstreuter Haciendas und Hatos, die sich sehr nützlich erwiesen.
Endlich hatte auch der, dem alle unsere Vorbereitungengalten, um den sich seit Wochen unsere regsten Gedanken,unsere sehnlichsten Wünsche und Hoffnungen gedreht hatten,nach dem wir seit acht Tagen von jedem Paß und Hügel ausschauten,die königliche Gnade, sich uns in seiner ganzenGröße zu zeigen: der Chimborazo. In stiller, schlichterMajestät, wie die Kuppel von St. Peter über dem niedernRom, ragt der Schneedom über seine Umgebung empor.
Wie vor zwanzig Jahren der erste Anblick des Kilimandjaro,so ergriff mich auch das erste Erscheinen des Chimborazomit der Macht einer plötzlichen Offenbarung. Demütigstehen wir kleinen Menschen vor dem Erhabenen undlassen es klopfenden Herzens zu uns in seiner Sprachereden, die man nur in solchen Weihestunden recht versteht.Und wenn dann das Herz wieder zur Ruhe gekommen ist,werden die Augen scharfsichtig, der Geist hellseherisch und erbegreift von der Erscheinung mehr als sonst. Es war schonSpätnachmittag, als uns der Berg erschien. Schnell zogdas tropische Dämmerlicht herauf. Langsam verglomm amvioletten Westhimmel die silberne ungeheuere Kuppel. Dieuns zugekehrte Ostseite lag schon im blauschwarzen Schatten,aber noch schimmerte es geheimnisvoll um den schneeigenScheitel, und als auch diese letzten Töne verklungen waren,stand noch lange die finstere Silhouette am verlöschendenAbendhimmel wie eine riesenhafte Sphinx.
Übrigens darf man sich das Gebirgspanorama[22]von Riobamba nicht alpin im europäischen Sinn vorstellen,nicht als ein Amphitheater oder als eine Kette vonSchneegipfeln. Es ist nicht das »großartigste Diorama derWelt«, wie es der Reisende Boussingault in französischer Überschwenglichkeitim Jahr 1831 genannt hat; sondern in weiterEntfernung, so daß Einzelheiten nur mit dem Glas zuerkennen sind, zieht im Westen des weiten Riobambabeckensder lange Gebirgswall der Westkordillere, im Ostender der Ostkordillere nordsüdwärts, und vereinzelt sitzenauf, respektive an ihnen die schneeigen Vulkankegel ingroßen Abständen: auf der Ostkordillere der zackige Altarmit der matterhornähnlichen Obispo-Spitze und der von hierder Königsspitze gleichende Tunguragua; auf der Westkordillereder mehrgipfelige Carihuairazo und der gewaltigeChimborazo-Dom. Im ganzen kein zusammenschließendes,einheitliches Hochgebirgspanorama, sondern weitverstreuteEinzelbilder.
In zweieinhalb Tagen waren wir dank fleißiger Arbeitmit allen Vorbereitungen fertig. Nun konnte es losgehen.Zuletzt entdeckte ich noch einen eingewanderten italienischenHandelsmann, der in seinem Laden die besten Dinge hatte,die ich für Bergtouren brauchen konnte und in Riobambanicht vermutet hatte: vortreffliche italienische Makkaroni, feinkörnigenitalienischen Reis, verschiedene Biskuitsorten, guten,rotgelben Käse, in Blechbüchsen eingemachte Früchte, namentlichkalifornische und chilenische Pfirsiche und Birnen, undanderes Gute mehr. So waren wir für unser bevorstehendesLagerleben viel besser ausgestattet, als ich nach unseren bisherigenGasthaus- und Reiseerfahrungen hatte hoffen können.Das war ein Glück, denn es kamen Tage schwerer Arbeitund harter Entbehrung.
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Der Chimborazo.
1. Der Berg.
Der höchste und größte Berg der ecuatorianischen Andenist der Chimborazo (6310 Meter). Jahrhundertelanggalt dieser Bergriese für die höchste Erhebung von ganzAmerika, und wenn ihm auch dieser Rang von der fortschreitendenLandeskenntnis genommen worden ist, so bleibtihm doch der Nimbus, mit dem ihn der Besuch und die begeistertenSchilderungen des größten deutschen Forschungsreisenden,Alexander von Humboldts, umwoben haben. SeitHumboldts vor einem Jahrhundert unternommener Erforschungund versuchter Besteigung des Chimborazo haben gerade wirDeutsche immer ein sozusagen landsmännisches Interesse andem Berg genommen. Die Mehrzahl seiner wissenschaftlichenBesucher und Erforscher auch nach Humboldt sind Deutschegewesen, vor allem Wilhelm Reiß und Alfons Stübel(1870–74).

Der Naturforscher wie der Naturfreund, der Künstler wieder Alpinist, der ecuatorianische Stadtbewohner wie der indianischeBauer, alle, die den gewaltigen Schneeberg sehen,an ihm weilen oder arbeiten, erkennen ihn als den König derecuatorianischen Anden an. Er ist das WahrzeichenEcuadors. Schon seine Erscheinung ist einzigartig. Am[25]weitesten von allen großen Vulkanen Ecuadors auf der Westkordillerenach Süden vorgeschoben, ist er der einzige Schneebergdes Hochlandes, von dem im 133 Kilometer entferntenHafenplatz Guayaquil bei sehr klarem Wetter ein Stück sichtbarist, eine Erscheinung aus einer andern Welt; und er istder erste, der den vom tropisch-heißen Tiefland auf der meistbegangenenRoute über Guaranda zum kühlen Hochland aufsteigendenReisenden mit dem Zauber nordischer Schneelandschaftbegrüßt oder aber ihn beim Übergang über den berüchtigten,am Südwestfuß des Chimborazo gelegenen Hochpaßdes »Arenals« mit wildem Páramowetter, mit tobendenGewittern, mit eisigem Regen und Schneesturm empfängt.Ganz allein thront er am Westrand der Hochebene von Riobamba.Der nördlich neben ihm 10 Kilometer entferntstehende kleinere Carihuairazo (5106 Meter), obwohl an sichein sehr respektabler Schneeberg, verschwindet, von Westen,Süden und Südosten gesehen, neben der himmelstürmendenTitanengestalt des Chimborazo fast ganz. Es ist, als ob sichvon den anderen großen Vulkanen des Hochlandes keiner inseine Nähe wagte.
An sich ist der Vulkanbau des Chimborazo mit seiner imMittel nur 3000 Meter betragenden relativen Höhe nur wenighöher als der des Cotopaxi über seiner Basisebene, er ist sogarkleiner als der des Ätna (3313 Meter) oder gar der desPik von Tenerife über ihren Fußpunkten. Gänzlich verschiedenaber ist die Architektur des Chimborazo von derdes Cotopaxi. Hier gibt es keine so weit ausholende, fastmathematische Profilkurve wie im Aufbau des Cotopaxi,keine gleichmäßig abgestutzte Kegelform wie dort, sondern esist ein Komplex von kolossalen miteinander verwachsenenStumpfpyramiden, über den sich eine Gruppe von fünf[26]Schneedomen als Gipfel wölbt. Man könnte von einem»romanischen« Stil dieses Riesenberges sprechen, so gut wieman vom »gotischen« Stil der granitischen Sierra Nevadagesprochen hat.
Der Chimborazo zeigt sich auf jeder Front in einer gänzlichandern Gestalt. Am großartigsten entwickelt er sich vordem Beschauer auf der breiten Südostseite. Hier ist erbreiter, höher und steiler als auf den anderen Seiten. Als einmächtiger vereister Gebirgsrücken hebt er sich aus dem Hochbeckenvon Riobamba empor, am Fuß welliges und hügeligesGelände von großer Monotonie, alte übereinandergelagerteLavaströme, Tuffschichten und alte Moränen unter einer allesüberziehenden graubraunen Decke von Páramogras. Darübergeht das Massiv mit stärkerer Steigung in die Zone jungerMoränen über, die als ein Gürtel runder Wälle, Dämme undKegel die Südhälfte des Berges zwischen etwa 4700 und5200 Meter umfassen; und von da an stürmt der Berg injähen, dunklen Felswänden himmelwärts, über die sich vonoben die Eisflut in einer Reihe steiler, graublauer Gletscherund wildzerrissener Eisstürze ergießt. Über diesen aber wölbensich in olympischer Ruhe die breiten runden Firndomeder Gipfelregion.
Auf der Ostseite haben wir, wenn wir nördlich vomTambo Chuquipoquio stehen, den Berg in seiner Schmalseitevor uns. Die mächtige runde Firnkuppel des Ostgipfelsbeherrscht hier das Bild, hinter der die westlicherenSchneegipfel großenteils verdeckt liegen, und läßt den Bergals einen einfachen großen Vulkandom erscheinen mit gleichmäßigkonisch nach allen Seiten abfallenden Hängen. Eingroßer primärer Gletscher fließt weit nach Nordosten hinab.
Sobald man aber nach der Nordseite des Berges umgebogen[27]ist, ändert sich das Bild total. Der Berg breitetseine vielgliedrige Längsansicht vor uns aus, und jetzt sehenwir über dunklen Schuttmassen und Felswänden die fünfrunden Firngipfel auf dem langen Schneerücken thronen.Die Nähe des benachbarten vereisten Carihuairazo stört freilichdie Einheitlichkeit des Bergbildes; dagegen erhöht siemächtig den Gesamteindruck der großen alpinen Landschaft.Sie packt und fesselt uns um so mehr, als die Vergletscherungdes Chimborazo auf keiner andern Seite des Berges sogroßartig ist wie auf den dem Carihuairazo zugewandtenFlanken.
Von der Nordseite steigt die Basis des Chimborazoimmer mehr nach Westen an. Dort stehen wir 4400 Meterhoch auf der wüstenhaften Lapilli-Ebene des »Großen Arenals«,das im Süden von dem nach Guaranda führendenSaumpfad überschritten wird, und sehen den Chimborazowieder in seiner kürzesten Achse. Keine andere Seite desBerges ist so einsam und öde wie diese; nichts als Stein- undEiswüste. Auf keiner andern Seite erscheint er so als regelrechterschneebehelmter Vulkankegel wie von der Westseite.Hier ist es der Riesendom des Westgipfels (6269 Meter), derden ganzen Berg auszumachen scheint; nur ein wenig wirdrechts neben ihm von dem noch etwas größern Südgipfel inder Überschneidung sichtbar. Zwischen beiden ist auf der Südwestseiteder Kegelmantel in der untern Berghälfte durch einbreites steiles Gletschertal bis zum Fuß herab aufgerissen,einer der größten Massendefekte am ganzen Chimborazo, dereinen tiefen Einblick in den vulkanischen Bau des Bergesgewährt.
Seit Äonen ist der Chimborazo kein tätiger Vulkanmehr. Nur noch einige um seinen Fuß zerstreute heiße Quellen[28]verraten Rückstände schwacher innerer Glut. An seinen dunklenAndesitwänden nagen seit ungezählten Jahrtausenden dieSonnenstrahlen, Nachtfröste, Winde, Gewässer und Gletscher,und die tiefen Wunden, die sie dem Bergriesen schlagen,werden wohl nie wieder vernarben, wohl nie wieder durcheinen neuen verjüngenden Lavaerguß ausgeheilt werden. Aucher, der stolzeste und größte der ecuatorianischen Andenberge,unterliegt dem Schicksal alles Irdischen, der Vernichtung.Aber noch steht er in göttlicher Größe und Schönheit da, nochfür unermeßliche Zeiten empfänglichen Augen und Seelen zurErhebung und heiligen Verehrung, dem geistig Schwachenaber zur Beklemmung und Furcht, wie man überall von denEcuatorianern hören kann.
Wir bewundern an ihm außer seiner Größe vor allemdie reiche orographische Gliederung seiner gewaltigenMassen. Wie der Cotopaxi erscheint uns auch derChimborazo als eine geschlossene Bergpersönlichkeit, aberihr Charakter ist ein anderer als der des symmetrischen,eleganten Cotopaxi. In seinen Profilen und Formen verbindensich die starre harte Geradlinigkeit seiner hohen Felswändeund die vielfältig gebrochenen und gekrümmten Linienseiner Grate und Spitzen mit den sanften Kurven seinerSchutthalden und mit den weiten, ruhigen Wölbungen seinerhimmelhohen Firne zu einer wunderbaren Harmonie vonStrenge und Milde, von Ehrfurcht gebietender Erhabenheitund ernster Freundlichkeit. Während der Cotopaxikegel inseiner Einfachheit sich mehr der kristallinischen Grundformnähert, setzt sich der Chimborazo aus mehreren Einzelbergenund Stufen zu einer höhern Einheit zusammen. Er nähertsich durch seine mannigfaltige Gliederung mehr den organischenGebilden, mehr dem Lebendigen als jener. Es ist[29]ein unbewußter Ausdruck dieser Empfindung, wenn man imLande seine langgestreckte Gestalt mit der eines ruhendenLöwen vergleicht, und es ist darin auch richtig ausgesprochen,daß er trotz seiner Mannigfaltigkeit eine geschlossene majestätischeBerggestalt ist. Sie ist, um mit F. Ratzel zu reden,nicht romantisch, sondern klassisch. Zur Einheitlichkeit desGanzen trägt am meisten die ungeheuere, zusammenhängendeund zusammenfassende Schnee- und Eisdecke bei. Sie gleichtmit ihren auf und ab schwellenden Wogen alle schroffen Trennungenaus und vereint unter sich alle Spitzen und Gratezu einem Schneeberg.
Von der grauen Monotonie seiner Fußhügel weg zieht derBerg unser schauendes Auge immer wieder an den dunkelfarbigen,steilen Hängen und Wänden seines Felsenbaues undan seinen mattblauen Gletscherbrüchen empor in die lichteSchneeregion und läßt es langsam über die weiten Flächender im Sonnenschein silbern schimmernden Firnfelder undFirndome gleiten. Dort ist Ruhe, Einsamkeit, erhabeneGröße. Sie können wir nicht mehr schildern, nur fühlen intiefer Ergriffenheit, nur »still verehren«, wie Goethe vomgroßen Unerforschlichen der Natur sagt. Wir begreifen, daßauch kein Künstler einem so erhabenen Naturbild beikommenkann; schon an der Raumgröße würde seine Kunst scheitern.Nur wenn er von dem unendlichen Reichtum der Einzelerscheinungenabsieht, das Ganze vereinfacht, das Typischeheraushebt und von Form und Linien im großen ganzenein richtiges Abbild gibt, kann er eine so gewaltige Bergpersönlichkeitwie den Chimborazo malerisch bezwingen. Vollständiggescheitert an diesen Schwierigkeiten ist Alexander vonHumboldt, dessen Chimborazobilder dem modernen Beschauerals Karikatur erscheinen, und auch Stübels sonst unvergleichliche[30]Panoramen sind in ihrer Überhöhung nicht korrekt; erstmeinem Begleiter Reschreiter sind künstlerisch und wissenschaftlichzugleich einwandfreie Bilder des Berges gelungen.
Bekanntlich ist es Alexander von Humboldt, derzuerst von allen wissenschaftlichen Reisenden am Chimborazoeine bedeutende Höhe bestiegen hat. Dies war im Jahr 1802.Humboldt galt dadurch für viele Jahre als »Höchstgestiegener«der ganzen Welt, was zu seiner Popularitätweit mehr beigetragen hat als seine übrigen Reisen und seinewissenschaftlichen Schriften bis zum Erscheinen des »Kosmos«.
Humboldt wählte als Ausgangspunkt das noch heute bestehendeDorf Calpi im Südsüdosten des Chimborazo undglaubte, von dort mit seiner kleinen Karawane in einem Tagzum Gipfel des Berges und zurück nach Calpi kommen zukönnen. Eine solche naive Verkennung der Schwierigkeitenwar nur in der frühesten Jugendzeit der Alpinistik möglich;hatte man doch zu bedenken, daß man eine Höhendifferenzvon rund 3000 Meter, eine Horizontaldistanz von etwa19 Kilometer, steile Schutthalden, kolossale Felswände, riesigeGletscherbrüche, die Wirkungen der dünnen Höhenluft usw.zu überwinden hatte. Zum mindesten wären drei Tage fürdas Unternehmen in Anschlag zu bringen gewesen, wenn derBerg überhaupt von dieser Seite zu bewältigen ist, was ichangesichts der furchtbaren Zerklüftung des Eises und desFirnes auf dieser Seite bezweifle. Ein erfahrener Alpinistwird nie auf den Gedanken kommen, der schwierigen Südseitedes Chimborazo den Vorzug vor den alpinistischleichteren Südwest- oder Nordwesthängen zu geben. Aberfreilich hatte Humboldt die Nordfront des Berges überhauptnicht gesehen.
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So ritt er denn mit seinen Begleitern Aimé Bonplandund dem jungen Ecuatorianer Carlos Montufar am23. Juni 1802 von Calpi über das stufenförmig ansteigendeBasisgelände, am kleinen See Yana-cocha vorüber zurGrenze des frischgefallenen Schnees (4377 Meter). Hierbegann seine Fußtour, während seine Kameraden erst ander »perpetuierlichen« Schneegrenze (4820 Meter) ihre Reittiereverließen. Nun folgte man einem steilen, »gegenden Gipfel gerichteten, schmalen Felskamm« von »sehr verwittertembröckeligen Gestein«. Bald kehrten die Eingeborenenzurück, und es blieben mit Humboldt nur Bonpland, CarlosMontufar und ein Mestize »aus dem nahen Dorf SanJuan«. Der Grat wurde sehr schmal, oft nur 8–10 Zoll breit,links sank eine »dünneisige Spiegelfläche« mit etwa 30 GradNeigung ab, rechts gähnte ein Abgrund von 800 bis 1000Fuß Tiefe. Immer schwieriger wurde das Balancieren, dasKlettern mit Händen und Füßen, so daß die Hände anden Felsen »schmerzhaft verletzt« wurden; und dazu wurdeHumboldt durch eine Wunde gehindert, die er »seit mehrerenWochen am Fuß« hatte. Bei 5612 Meter wurde eine barometrischeHöhenmessung vorgenommen. Nach weiterm einstündigenSteigen stellte sich bei allen die Bergkrankheitein: »große Übelkeit«, »Bluten aus dem Zahnfleisch undaus den Lippen«(!); auch die »Augen waren blutunterlaufen«.Ringsum lag dichter Nebel. Bei seinem Aufreißensahen sie den »domförmigen Gipfel des Chimborazoganz nahe«, aber bald – es war 1 Uhr geworden –setzte »eine Art Talschlucht von etwa 400 Fuß Tiefe« demUnternehmen eine Grenze. »Mit vieler Sorgfalt« wurdemit dem Quecksilberbarometer die Höhe gemessen: 13 Zoll112/10 Linien bei –1,6° C, woraus Humboldt 5881 Meter[32]berechnete. »So fehlten noch bis zum Gipfel senkrecht1224 Fuß oder die dreimalige Höhe der Peterskirche inRom.«
»Nach kurzer Zeit« kehrten die Reisenden auf demselbenFelsgrat zurück, »vorsichtig wegen der Unsicherheitdes Trittes«, Gesteine sammelnd, von Hagel und Schneegestöberbegleitet. Trotzdem waren sie schon um »2 Uhrund einige Minuten« wieder an der Schneegrenze, wo dieMaultiere zurückgeblieben waren (4820 Meter). Sie warenalso trotz der genannten Schwierigkeiten in nur einerStunde die 1061 Meter von 5881 Meter zu 4820 Meter(=17,7Meter pro Minute) hinabgestiegen! Durch denPáramo de Pungupala ritten sie nach Calpi zurück, wosie schon um 5 Uhr nachmittags wieder eintrafen. »Die Expeditionoberhalb des ewigen Schnees hatte nur 3½Stundengedauert.« In 3½Stunden will somit Humboldt die1061 Meter hohe schwierige Strecke von 4820 Meter zu5881 Meter hinauf- und hinabgestiegen sein, d. h. rund300 Meter in der Stunde. Das wäre eine Arbeit, die sichder beste moderne Bergsteiger auf nicht schwierigem Terrainund in normaler Höhe kaum zutrauen würde; 200 Meterauf und ab sind da pro Stunde schon eine recht respektableLeistung. Aber bei Humboldts Besteigungsversuch handeltees sich um gänzlich ungeübte, höchst mangelhaft – ohneSeil, Eisäxte, Nagelschuhe usw. – ausgerüstete Männer,um schwieriges Terrain auf schmalen steilen Graten, umeine Riesenhöhe mit der aus ihr folgenden starken Verminderungder Leistungsfähigkeit und Geschwindigkeit, umlähmende Bergkrankheit, Verletzungen, Aufenthalte zumBeobachten und Sammeln usw.

Diese vielfachen Widersprüche in Humboldts Darstellung[33]sind schon früher mit Recht kritisiert worden. Daaber die große Spärlichkeit von Zeitangaben in HumboldtsBericht eine Kontrolle der einzelnen Zeitabschnitte unmöglichmacht, so ist schwer zu sagen, wo der Irrtum oder Fehlerliegt. Am einfachsten ist die Annahme, daß das Quecksilberbarometer,dem die Höhenmaße entnommen wurden,in völlige Unordnung geraten war. Legen wir für dieWirklichkeit einen Durchschnitt von 150 Meter Auf- undAbstieg pro Stunde zugrunde, was der Leistungsfähigkeitdieser Reisenden und den von Humboldt geschilderten Umständenam meisten entsprechen dürfte, so hätte Humboldtmit seinen Begleitern in 3½Stunden von der Schneegrenze(4820 Meter) aus und wieder dahin zurück dieHöhe von etwa 5350 Meter erreicht. Und diese Höhestimmt vollkommen zu der von ihm geschilderten Situationseines Endpunktes, während es bei 5881 Meter, wo erseiner Messung nach gewesen sein will, ganz anders aussieht.Dort würde er oberhalb der Felswände mitten inder Gletscherregion gestanden haben. Er ist nach alledemnoch unterhalb der riesigen Felswände geblieben, die dengewaltigen Firndom tragen, und fast 1000 Meter unterdem Gipfel selbst.

Als Humboldt seinen ersten Bericht über diesen Besteigungsversuchveröffentlichte, lag die Reise schon 35 Jahrehinter ihm, und er war ein Greis geworden, in dem dieErinnerung an die einstigen Vorgänge offenbar stark verblaßtwar, obwohl er die Hauptdaten dazu seinen Tagebüchernentnommen hatte. So konnte sich allmählich dieLegende von »der Chimborazobesteigung« Humboldts ausbilden,während in Wirklichkeit das Unternehmen Humboldtsda aufgehört hat, wo die wahren Schwierigkeiten[34]des Felskletterns und der Eisarbeit erst beginnen, wo dieGipfelbesteigung des Chimborazo im alpinistischen Sinneerst anfängt, wo ein Bergsteiger sein oberstes Zeltlageraufstellen müßte, wie es dann Whymper an der Südwest-und Nordwestseite, ich an der Nordwestseite des Bergesgetan haben.

Nach Humboldt haben der Franzose Joseph Boussingaultund der amerikanische Oberst Hall im Jahr 1831,die Deutschen Moriz Wagner 1859 und Alfons Stübel 1872den Gipfel zu ersteigen versucht; bezwungen aber hat denHauptgipfel (6310 Meter) bisher nur der Engländer EdwardWhymper mit den beiden Schweizer Führern GebrüderCarrel in zwei glänzend durchgeführten Tourenam 4. Januar und am 3. Juli 1880. Alle anderen Ersteigungsgeschichtensind sensationelle Erfindungen.
Selbstverständlich hätte auch ich mit Herrn Reschreiterbei meiner Andenreise den höchsten Gipfel gern »mitgenommen«,aber es war uns nicht beschieden. Vielleichtwäre für uns der Anreiz größer gewesen, wenn es sich umeine Erstersteigung gehandelt hätte, wie ich sie seinerzeitnach dreimaligem Anlauf am Kilimandjaro ausgeführt habe,oder wenn am Gipfel selbst so viel Interessantes zu sehenwäre wie auf dem des Cotopaxi. So aber standen für michwissenschaftliche Ziele im Vordergrund, denen sich auch mitRücksicht auf die zur Verfügung stehende beschränkte Zeitdas alpinistische Interesse unbedingt unterordnen mußte,und unsern Arbeiten konnte es nur zum Vorteil gereichen,daß sie nicht durch sportlichen Zeit- und Kraftaufwand unddurch alpinistische Unternehmungen verkürzt worden sind,die mehr hätten sein wollen als Mittel zum Zweck der wissenschaftlichenHochgebirgsforschung.
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Wir haben den Chimborazo zweimal von Ost über Südund West nach Nord in der Páramoregion von durchschnittlich4000 Meter Höhe umkreist, an allen vier SeitenVorstöße in seine Gletscher- und Firnregion gemacht undvon der Nordnordwestseite her den Westdom (6269 Meter)bis 90 Meter unter seinen Gipfel bestiegen. Die erste Tourvollführten wir Mitte Juni bei Beginn der für die Westkordillerebesten, ruhigsten Jahreszeit, die zweite Tour,welche die bei der ersten gelassenen Lücken in der topographischenAufnahme, in der Beobachtung der meteorologischenVorgänge, der Hochgebirgsflora, der Schnee- undEisverhältnisse usw. möglichst ergänzen sollte, in der zweitenAugustwoche am Schluß der guten Jahreszeit. Dazwischenliegen die Hochtouren auf den anderen großen Vulkanbergen.
2. Der Anmarsch.
Am 16. Juni 1903 ritten wir mit meinem MayordomoSantiago, den beiden Arrieros Spiridion und Moran undsieben Lasttieren von Riobamba nach dem am Ostfuß desChimborazo 3628 Meter hoch gelegenen Tambo Chuquipoquio.Dieser am Camino Real liegende Tambo istder höchste ständige Wohnplatz auf der Ostseite des Chimborazo,die einzige Rast- und Nächtigungsstelle in jenenHöhen. Auf der Südseite liegt der Hato Totorillas350 Meter höher (3979 Meter), auf der Nordseite der HatoPailacocha sogar in 4266 Meter.
Von Riobamba nach Chuquipoquio geht ein breiter, bequemerReitweg; in vier Stunden kann man bei flottemReiten die Strecke zurücklegen. Wir ritten auf der vomWind glattgefegten, von endlosen Agavenhecken gesäumten[36]Straße meist im Trab voraus, die »Carga«, d. h. die Lasttieremit den zu Fuß gehenden Arrieros, folgte im Schrittnach. Langsam hebt sich das meist aus Tuff und Lapilliaufgeschüttete Hügelland zum Chimborazo und der Westkordillerehin, monoton, vom Wind zerzaust und von Staubund Flugsand verweht, gegen dessen erstickende Anhäufungsich die wenigen kümmerlichen Mais-, Gersten- und Lupinenfelderdurch Agaven- und Kakteenzäune zu schützen suchen.Dazwischen stehen weit verstreut wenige Indianerhütten,graubraun wie die ganze Landschaft und von ein paardürftigen Capuli- oder Eukalyptusbäumen umstanden, wennein Wasserlauf in der Nähe ist. Wasserläufe gibt es aberwenige in dieser Landschaft, immerhin mehr als in größererNähe des Chimborazo, denn die Schmelz- und Niederschlagswässerdes Berges versinken dort im lockern Geröllseiner Schutthalden und Fußhügel und kommen erstweiter nach der Riobamba-Ebene hin zum Vorschein, wo oftundurchlässiges Gestein nahe unter der Bodenoberfläche liegt.
Wir hatten es mit dem Wetter gut getroffen, dennwährend des größten Teils des vierstündigen Rittes zeigteuns der Chimborazo seine majestätische südöstliche Breitseitein nur geringer Bewölkung. Unter der steigenden Sonnefunkeln seine Firndome wie verglast, und darunter ziehensich in schönster Plastik die durch steile Felsgrate voneinandergetrennten Gletscherbecken herab, in denen die Eismassenals wild zerrissene Hängegletscher abfließen. Moränenwällevon enormer Mächtigkeit begleiten und umgeben sie undsetzen talwärts die Gletscherrichtung in einer die einstigeAusdehnung der Eisströme deutlich markierenden Erstreckungbis in die braungrasige Páramoregion hinein fort.
Gegen 2 Uhr trafen wir an der obern Grenze des Feldbaues[37](Gerste 3450 Meter) auf die große, von Guamotenach Quito führende Fahrstraße, folgten ihr nordwärts undwaren in kurzem vor einem mit verfallenden Tuffmauernumfriedeten Gehöft von drei großen viereckigen Lehmhüttenangelangt, dem Tambo Chuquipoquio (3628 Meter).Er liegt schon in der unwirtlichen Region des Páramo. Schonwartete unser der im voraus benachrichtigte Mayordomound präsentierte mir ein Dutzend junger und alter Indianer,von denen ich die acht kräftigsten als Träger (Peones) fürdie Chimborazotour aussuchte. Die Kosten waren mäßig.In einem dunkeln, mit zwei wackeligen Bettstellen bestandenenVerschlag richteten wir uns nach Möglichkeit mitunseren Schlafsäcken und Decken ein, während sich auf demHof ein neugieriges Gesindel von Arrieros und Peonesherumtrieb, die hier mit ihren Karawanen von Eseln,Pferden und Maultieren auf der Reise von oder nachQuito nächtigten. Aber keine Zudringlichkeit, kein Lärmengenierte uns; das liegt nicht in der passiven Art derecuatorianischen Indianer und Mischlinge.
Am nächsten Morgen um 7 Uhr ging es südwestwärtsfort mit dem Ziel Totorillas, dem am Südfuß desChimborazo 3979 Meter hoch gelegenen Tambo, von dem derSaumweg über die Páramos und das »Große Arenal«nach dem westlichen Unterland führt. Sechs Stunden langumritten wir die Ost- und Südostseite des Berges, immerauf und ab über Schluchten und Rücken durch gleichförmigesPáramogelände mit kniehohem Stipagras (Pfriemengras,Stipa Hans Meyeri Pilger) und ohne Busch undBaum. Von den Tücken des Páramocharakters hatten wirnichts zu fühlen. Rauheit und Unbeständigkeit des Wetters,häufige und schroffe Wechsel zwischen den Extremen, zwischen[38]strahlender Hochgebirgssonne und wütendem, eisigem Regen-und Schneewind, sind ja die Eigentümlichkeiten der Páramoregion,die sie zur unwirtlichsten Region zwischen Tropenküsteund Schneegrenze stempeln. Aber wir hatten günstigeSommertage getroffen. Zwar umwirbeln uns öfters Nebelfetzenund umsprühen uns mit leichten Regenschauern (Paramitos),während der Wind zischend über das Gras faucht,es zu Boden drückt und uns mit Sand und Steinchenbewirft, doch dauert der Spuk nur viertelstundenlang,worauf die Sonne über uns und über die graugrünen Grashügelsowie droben über die Felsen- und Schneewelt desChimborazo um so herrlichere Lichtfluten ausgießt.
An vielen Stellen sahen wir in den Talsenken und anden Hügellehnen kleine Herden von Schafen, Rindern undPferden weiden; meist ohne sichtbare Hirten. Darin bildeneben die Páramos den Reichtum des Hochlands und seinerarmen Indianerbevölkerung, daß sie in jeder Jahreszeitdem Vieh eine sichere, wenn auch nicht fette Weide bieten.Die besten Teile haben sich freilich die Großgrundherrenauch von den Páramos weggenommen, aber es bleibt nochgenug für den Bedarf des »kleinen Mannes« und seinerkleinen Herde, noch genug auch für seinen bescheidenenHolzbedarf (Krummholz der Sträucher) und für seine Jagdlust(Kaninchen, Wachteln, Enten, Füchse usw.). Von solchenjagdbaren Tieren sehen wir freilich beim flüchtigen Durchreitennur Spuren. Unser Weg, der »Camino«, wird ausmehreren tief eingeschnittenen Pfaden gebildet, die nebeneinanderherlaufen, ineinander übergehen und sich wiederverzweigen. Oft sind im Tuff übermannstiefe Hohlwegeausgetreten und von Wasser und Wind weiter ausgefurcht,in denen nicht zwei Tiere aneinander vorüberpassieren können.[39]Wer zuerst eintritt, ruft und pfeift, damit eine etwa vonder andern Seite sich nähernde Karawane wartet.
Da das Wetter meist klar war, hatten wir nach Osteneinen schier unermeßlichen Überblick über die weite, nachRiobamba hinabsinkende Hochmulde bis an die ferne Ostkordillere,über deren blaudunstige Kette die Schneespitzendes Cerro Altar herüberleuchteten. Weiter südlich quoll plötzlichhinter der Ostkordillere eine ungeheuere, teils blaugraue,teils kupferbraune Wolkenmasse empor, die Ausbruchswolkedes von hier unsichtbaren Sangayvulkans, den mangleichzeitig dumpf donnern hört. Sie streckt und breitetund rundet sich wie eine kolossale Lokomotivrauchwolke,steigt in ihren obersten Wölbungen bis zu 10000 und11000 Meter in die Höhe und wird dort oben von einernordöstlichen Luftströmung in langem Zug nach Südwestengeweht, wobei sie ihre Asche in graubraunen Schwadenund Schleiern gleich dem schief streichenden Regen einer fernenGewitterwolke über das Land ausstreut.
Zu unserer Rechten aber an den Steilhängen des Chimborazo,zu denen unsere Páramoregion in schneller Steigungemporzieht, sehen wir weiterreitend einen Gletscheran den andern sich reihen, eine kleine und fünf größere Eiszungenzwischen Chuquipoquio und Totorillas: auf demOsthang über Chuquipoquio eine kleine, auf der Südostseitezwei größere, auf der Südseite drei. Die Gletscher liegenin ihren unteren Teilen weit herab unter ihrem eigenenMoränenschutt begraben, so daß ihre Eisgrenze nur durchnähere Untersuchung festzustellen ist. Von einer freienGletscherstirn ist nichts zu sehen. Der Auslauf ist bei denmeisten ganz flach. Jeder Gletscher hat sich in eine Muldeeingebettet, die er sich im Berghang selbst gegraben hat,[40]und alle sind voneinander durch steile Felsgrate getrennt,in denen man deutlich die stehengebliebenen Reste des imübrigen durch die Gletschererosion abgetragenen Mantels desBergmassivs erkennt.
Teilweise sind die Felsgrate durch Schutt verdeckt, dersich ihnen als Seiten- und Ufermoränen der Gletscher an-und auflagert. Aber jeder Gletscher hat vor seiner Zungeeine große bogenförmige Endmoräne abgesetzt. Nachaußen fallen diese Endmoränen in steilen Kegeln bis zu250 Meter hoch ab, und mit ihren aneinandergereihtenBogen umkränzen sie oberhalb des Graslandes von etwa4600 Meter Höhe an die Ost- und Südflanken des Bergeswie mit einer kolossalen, freilich nimmer grünen Girlande.Aber auch das daran anschließende Grasland zeigt noch bis3900 Meter hinab überall die unruhigen Formen von Wällenund Dämmen in teilweise großartigster Ausbildung, verwachseneund leicht verwischte, aber noch deutlich erkennbareSpuren einer einst viel größern Ausdehnung der Vergletscherung,die in der Eiszeit sich volle 600 Meter weiter amBerge hinab erstreckte.
In ihren oberen Partien, die dem steilsten Teil desBergmassives anliegen, sind die Gletscher echte Hängegletscher,teilweise Eiskaskaden von wahrhaft unheimlicher Zerrissenheit,und bei 5200 bis 5600 Meter Höhe enden, respektivbeginnen sie in senkrechten Eiswänden von 50 bis 100 MeterDicke, an denen da und dort die frischen Abbruchstellen inwundervoll zartem Indigoblau schimmern. Sie sind in zahllosePfeiler, Türme, Rampen und Bastionen zerschnitten, die denDruck, den Schub, den Wind, die Sonne und den Frost zumErzeuger haben. Die darüber sich hoch und herrlich wölbendenGipfeldome blinkten an vielen Stellen wieder glasig, während[41]mir an anderen eigentümliche mattgraue Oberflächen auffielen,die sich im Fernglas als weite Felder von zacken- und spitzenförmigenFirngebilden erwiesen. Sollte das »Nieve penitente«sein, dessen Vorkommen bisher in der Äquatorialzone bestrittenworden war? Oder karrenartige Firn- und Eisformen, wie ichsie auf den Kilimandjarogletschern gefunden hatte? Die Fragemachte mich auf unsere von der Nordwestseite geplante Besteigungder oberen Firnregion in hohem Grad gespannt.
Zwei Bachtäler von offenbarer Glazialentstehung werdengequert, dann reiten wir über einen mächtigen Schutt-und Lavarücken immer höher hinan, bis wir eine Stundespäter am Südfuß des Berges dicht am Tambo Totorillas– mit 3979 Meter die zweithöchst gelegene Wohnstätteam Chimborazo – im flachen, etwa 250 Meter breitenTotorillastal anlangen.
Der Tambo Totorillas ist nur eine große Lehmhüttemit einem bis auf den Erdboden reichenden Grasdach,viel elender als der Tambo Chuquipoquio auf der Ostseite,aber trotzdem dauernd von einer Cholofamilie (Mischlingeaus Weißen und Indianern) bewohnt, die das Vieh der umliegendenweiten Páramos beaufsichtigen soll. Die Behausungund der Haushalt sind typisch für diese Mischlingsrasseder Hochregion. Im Innern der Hütte sind durcheine Flechtwand nur zwei Räume abgeteilt; der eine mitder Feuerstelle und den Schlaflagern der Besitzer, der anderefür allerlei Vorräte, für Hunde, Hühner und etwaige Gäste.Tische, Stühle, Bänke oder gar Bettstellen gibt es nicht.Die Menschen schlafen neben den Tieren auf trockenemPáramogras auf dem Erdboden zwischen Haufen von Kartoffelnund Maissäcken. Auch ein Feuerherd ist nicht vorhanden,sondern »des Hauses trauliche Flamme« flackert, von[42]trockenem Kuhmist und Wurzelstöcken des Chuquiraguastrauchsgenährt, ebenfalls auf dem Erdboden zwischen einpaar zusammengeschobenen Steinen. Der Rauch zieht durchdas Grasdach ab oder durch die einzige, aus rohen Stammstückengefertigte Türe, wenn diese offen ist. Wennsie geschlossen ist, ist es stockfinster im »Haus«. Daswenige Hausgerät, d. h. ein paar Töpfe und Schüsseln,Hacken und Messer, steht auf dem Erdboden oder hängt anPflöcken an den Lehmwänden. Für einige Schweine, diegehalten werden, ist draußen im Tuff des Talhangs einekleine Höhle gegraben; das Rindvieh aber und die Schafebleiben Tag und Nacht in der Páramowildnis. Das Ganzeist eine so primitive Behausung, daß dagegen eine tirolerSennhütte für eine komfortable Villa gelten kann. Undluxuriös ist das Leben eines Senners jenem der Páramobewohnergegenüber.
So sieht es in allen Tambos, Hatos und Vaquerias(Hirtenhütten) aus, die ich in Hochecuador gesehen habe. Ichließ gleich unsere Zelte vor der Hütte am Bachufer aufstellenund überließ den Tambo den Arrieros und Peones.
Während Herr Reschreiter sich ans Zeichnen und Malenmachte, ließ ich mich von meiner braven Mula in dashier an der Südflanke des Chimborazo emporsteigende Curipoquiotalbis auf eine alte Moräne bei 4350 Meter hinauftragen.Dort hört der Graswuchs, das Pajonal, auf undüberläßt der merkwürdigen äquatorial-alpinen Andenfloradas rauhe Terrain. Zwischen den zerstreut wachsenden, halbmannshohen,schuppenblättrigen und orangerot blühendenChuquiraguasträuchern hindurch, über Tausende von kleinenvioletten und zinnoberroten Gentianen, von gelben tannenreisförmigenLoricarien, edelweißartigen Culcitien usw. stieg[43]ich auf den rutschigen Schutthängen der alten und dann derjungen Moränen bis an die Eisgrenze empor, allmählichdie Vegetation hinter mir lassend. Das Eis ist weit vondickem Moränenschutt bedeckt, aber an mehreren Stellenunschwer zugänglich.
Vom rezenten Moränengürtel zieht sich die alte Moränegleich einem Lava- oder Schlammstrom in das Curipoquiotalhinab, und die Eingeborenen nennen auch diese sowiedie meisten anderen Moränenwälle ihrer Berge »Volcanes«wie die ihnen äußerlich oft täuschend ähnlichen wirklichenLavaströme.
Die Firnregion des Berges hatte sich von Mitte desNachmittags an in schwere Wolken gehüllt, die immer tiefersanken. Gegen Abend fing es an zu regnen, und in derNacht folgte ein kurzes Gewitter, dessen Guß wir in unserenSchlafsäcken mit Behagen auf das Zeltdach prasseln hörten.Der ringsum geschlossene Canvasboden des Zeltes hieltvollkommen wasserdicht, so daß wir mit Ruhe den weiterenStürmen der nächsten Woche entgegensehen konnten. DerMorgen war naß, kalt, nebelig, windig; man kannte dassonnige, ruhige Tal vom vorigen Mittag kaum wieder.
Unser Pfad, der uns um die ganze Westseite des Chimborazoüber das große Sandfeld nach dem Gehöft Cunucyacuim Nordwesten des Berges führen sollte, klettert westlichvon Totorillas erst durch abscheuliche Hohlwege emporund mündet dann plötzlich ohne merklichen Übergang in einetotal veränderte Landschaft, in die Wüste des »Arenalgrande«: auf der ganzen Westseite des Chimborazovon der Schneegrenze an bis meilenweit nach Westen hinuntereine leicht abfallende, wenig gewellte, öde, steinigeFläche. Nichts mehr von der Hügellandschaft der grasigen[44]Páramos der Süd- und Ostseite des Berges mit ihremgroßartigen Gletscherhintergrund, sondern ausgeebnete, graueFlächen von Bimsstein, vulkanischem Sand und vulkanischerAsche in trübseliger Monotonie.
Ein paar Trockentäler sind in die Bimssteinplatten eingefurcht,aber sie haben nur bei starken Gewitterregen oderSchneeschmelzen für kurze Zeit etwas Wasser. Die intensiveSonnenstrahlung, die Wasserlosigkeit und Öde des Bodens,die ausgeglichene Oberflächengestalt des Geländes, die enormeTrockenheit und Klarheit der Luft, die Zwerghaftigkeit derweit zerstreuten Pflanzen, das Fehlen von Tieren und Menschen:alles vereinigt sich zum Bilde der Wüste. DiePflanzen sind den Extremen des Wüsten- und Hochgebirgsklimaszugleich angepaßt, denn sie müssen sich ebensogegen übermäßige Insolation, ausdörrende Winde und Sandwehenwie gegen Schnee und Nachtfrost schützen. Die einenschmiegen sich als einfache Rosetten platt an den bei Sonnenscheinwärmenden Boden, andere hüllen sich in einen hellgrauenHaarpelz wie unser Edelweiß, wieder andere verdickenihre Oberhaut zu einem wenig durchlässigen Panzer,alle aber reduzieren möglichst ihre Atmungs- und Verdunstungsorganeund strecken desto riesigere Wurzeln inden Boden aus, um das spärliche Naß zu suchen. Vonden meisten Arten stehen die Individuen in niedrigen rundenBüscheln dichtgedrängt beisammen, um einander Schutzgegen den trockenen Wind und die Kälte zu bieten. DieLandschaft ist gleichsam betupft mit solchen Polstern, dievon fern wie graue oder grellgrüne Maulwurfshaufen aussehen.
Da wir jetzt im Juni zur eigentlichen Blütezeit durchdiese alpine Wüstenlandschaft reiten, strahlen uns von allen[45]ihren Blütenpflanzen, von Gentianen, Valerianen, Senecien,Wernerien, Malvastren, Baccharis, Arenaria, Alchemilla,Lupinus und anderen Tausende zierlicher weißer, gelber,roter, violetter Blumen entgegen, die in ihrem Kontrast zu derwüstenhaften Umgebung dem Landschaftsbild einen unbeschreiblichenReiz verleihen.
Der Wind weht kalt, steif und regnerisch aus Südostenhinter uns her, so daß wir uns in unsere Gummiponchoshüllen und die Kapuzen überklappen. In den Invierno-Monaten(November bis Mai) liegt hier oft fußtief Schnee.Auch jetzt im Verano vergehen nur wenige Tage ohne Schneefall,aber die weiße Decke verschwindet schnell wieder. DerReitweg ist hart wie eine Tenne und zieht sich, wie immerin Ecuador, in einem halben Dutzend nebeneinanderlaufenderPfade dem Ziele zu. Vom Chimborazo ist bis gegen 10 Uhrin den dunklen Wolkenmassen keine Spur zu sehen. Nachlinks dagegen wird zuweilen unter der dicht über unslastenden Wolkendecke weg der Ausblick in das ferne sonnige,dunkelwaldige Bergland der Chimborazokordillere frei, zu derunsere Hochebene allmählich absinkt.
Den höchsten Punkt (4450 Meter) unseres Wegs erreichtenwir um Mittag bei einem Steinhaufen von Lapilli,schlackigen Bomben und Bimssteinbrocken, auf demfromme Furcht vor Sturm und Verderben ein kleines Holzkreuzerrichtet hat. Ein paar zerfallene Eselgerippe in der Nähemahnen »memento mori«. Cruz alta heißt der Punkt.
Von hier trat ein schneller Wetterwechsel ein, da wir inden Windschatten des Chimborazo getreten waren. Derheftige Südostwind, der uns bisher von hinten getrieben hatte,und das Nebelwehen hörten auf, und zu unserer Rechtenwurden in großer Klarheit die Fels- und Eiswände des[46]West-Chimborazo sichtbar. Der Berg ist hier, auf der Mitteder Westseite, die wir ganz überblicken, gar nicht wiederzu erkennen. Er hat sich in einen breiten Kegel mit einereinzigen runden Kuppel verwandelt: eine wahre Schulformeines schneebedeckten Vulkans. Diese Kuppel ist der voneinem felsigen Unterbau getragene domförmige Westgipfel,hinter dem die übrigen Gipfel versteckt liegen. VonSüdwesten her sehen wir einen mit einigen bizarrenTürmen und Nadeln besetzten Felsgrat zum Unterrand desgroßen Firndoms hinaufziehen. Wo der Grat endet, hängenrechts und links zwei von den oberen Eisbrüchen genährteGletscher in ihre Täler herab, die beiden einzigen der Westseite;im Südwesten der »Trümmergletscher«, im Westender »Thielmanngletscher«. Nach Nordwesten aber läuft einlanggestreckter Grat mit felsiger Schneide zum Arenalherunter, der oben im Firngewölbe des Westgipfels verschwindet.Zerfetzte graue Wolken jagen um die dunkelbraunenFelsen und die wunderbaren blaugrünen Eisschründeder Westseite des Berges, und darüber blitzt dasäquatoriale Sonnenlicht auf den weißen Schneefeldern desWestgipfels, daß die Augen sich geblendet abwenden.
Je weiter wir nach Norden reiten, desto ungestümerbläst uns wieder der Ostwind, gegen den uns der Chimborazoeine Zeitlang geschützt hatte, seitlich von vorne an.Zwei Stunden haben wir uns mühsam um die Nordwestseitedes Chimborazo herum durch ein vom Wind wild undwüst verwehtes Gebiet durchzuschlagen; Tiupongo heißtes. Der vulkanische Sand ist hier in den Mulden der weitenBodenwellen zu langen Dünen angeweht, auf denen Menschund Tier nur schwer vorwärts kommen. Es ist ein Stapfen,Rutschen und Wälzen wie in tiefem, pulvrigem Schnee.[47]Der uns nun von vorn packende Ostwind peitscht uns denSand wütend ins Gesicht, so daß wir die Augen mit Schneebrillenschützen müssen.
Als wir durch dieses Dünengewirr allmählich auf dieNordwestseite des Berges kamen, steckte dieser bereits wiederin dicken, düsteren Wolken, die unaufhörlich von Nordostenheranströmten. Darunter aber guckte eine lange, flache Eiszungehervor, deren Stirn ein mächtiger Moränenkegel umgrenzt:das Ende des »Stübelgletschers«. Bald danach betratenwir endlich wieder grasigen Páramoboden und erreichtenan einem klaren, kalten Wasserlauf den kleinen HatoPoquios (4087 Meter) im Tal von Cunucyacu, die Nordostgrenzeder Sandwüste Tiupongo und des Arenal grande.Von hier führt im Bachtal der Pfad nach der HaciendaCunucyacu hinunter, wo wir gegen Abend im neuen»Herrenhaus« unter einem großen Strohdach vier rohe fensterloseLehmwände und einen mit trockenem Páramogras beschüttetenLehmfußboden als Fremdenzimmer bezogen.
Die Hacienda Cunucyacu, das Standquartier fürunsere Besteigungen und Untersuchungen der Nordgletscherdes Chimborazo, ist mit 3759 Meter die höchstgelegeneHacienda an der Nordseite des Berges. Wir sind zwarhier ziemlich fern von ihm – zweieinhalb Stunden flottenReitens bis zum Fuß, und in Luftlinie zirka 15 Kilometerzum Gipfel–, aber wir haben keine andere Wahl. Aufder ganzen West- und Nordseite des Chimborazo ist esoberhalb 3000 Meter die einzige menschliche Siedlung, wofür uns, unsere Leute und Karawanentiere genügende Nahrungund Unterkunft zu finden ist. Sonst gibt es auf derNordseite zwar noch ein paar zu Cunucyacu gehörende einsame,dem Bergfuß nähere Hirtenhütten oder Vaquerias,[48]z. B. den Hato Pailacocha (4266 Meter), aber dort istbestenfalls ein Trunk saurer Schafmilch zu haben, und dasganze übrige Gebiet bis zum Tambo Chuquipoquio am Ostfußdes Gebirges, so groß wie mancher deutsche Kleinstaat, istunbewohnt, menschenleer und nur von einigen halbwildenSchaf-, Lama- und Rinderherden durchstreift, die sich in denrauhen Páramos ihre Nahrung und ihr Nachtlager selbstsuchen müssen. Überall nur fahles, steifes Páramogras oderSumpf oder Sand und vulkanischer oder glazialer Gesteinschutt,nirgends ein Baum oder Busch.
Bloß neben der Hacienda Cunucyacu, die sich wohlweislichgerade da hingelagert hat, wo das Hochtal desPucayacubaches (puca = rot, yacu = Wasser) sich zueinem ziemlich tiefen geschützten Kessel erweitert, grünt esinnerhalb einer Umfriedigung (Potrero) frisch von Alfalfa(Luzerne) für das Jungvieh und von Kohl für den Haushaltdes Mayordomo. Aber sonst ist die Hacienda inschlimmem Zustand. Wohnhaus, Gesindehaus und Ställesind vor einem halben Jahr ein Raub der Flammen geworden– was diesen größtenteils aus trockenem Páramograsaufgeführten Baulichkeiten alle paar Jahre einmalzu passieren pflegt – und die ausgebrannten Grundmauernstehen trauernd neben unserer neuen Strohhütte. Der Mayordomobehilft sich mit einigen Strohhütten auf den benachbartenHügeln und erweist sich uns gegenüber alsWirt so zuvorkommend und hilfreich, wie es ihm seineengen Verhältnisse nur gestatten. Auch ist es in diesen gottverlassenenGegenden von Wichtigkeit, daß sein junges Weibaußer Locro (Kartoffelsuppe) auch noch einiges andere kochenkann, was ein genügsamer Europäer zu genießen vermag.

Bei unserm »Herrenhaus« fand sich am nächsten Tag[49]bald eine Versammlung von Vaqueros (Rinderhirten) ein,die der Mayordomo aus der Umgegend hatte zusammenrufenlassen, um mich daraus einen Führer für die Bergtourwählen zu lassen. Lauter famose Gestalten, teils reineIndianer, teils Halbblüter, alle von untersetzter Figur undmuskulös, alle grauenhaft schmutzig, alle in verwettertemFilzhut, Poncho und langhaarigen Lamafellhosen und mitnackten Füßen, an welche wahre Ungeheuer von Sporengeschnallt sind. Auf ihren kleinen struppigen, magerenPferden jagen die Kerle wie die Teufel über ein Terrain,vor dessen Löchern, Rissen, Sümpfen und Steinblöcken sichein preußischer Kavallerieleutnant zehnmal überlegen würde,ob er seinen Gaul nicht lieber am Zügel führen solle. Ichwählte mir einen strammen, braunen, gutmütig dreinschauendenBurschen aus und habe meine Wahl nicht zubereuen gehabt. Nicolas hieß der Brave.

Von der Talsohle aus, auf der die Hacienda Cunucyaculiegt, sieht man gar nichts vom Chimborazo. Vomobern Talrand aber hat man bei klarem Wetter einenwundervollen Überblick über den Berg; am besten frühmorgensund spätnachmittags. Pyramidenförmig baut sichdie Nordwestfront vor uns auf. Rechts und links ziehenzwei Steilgletscher herab, rechts der längere »Stübelgletscher«vom Westgipfel, links der kürzere »Reißgletscher« vom Nordgipfel,zwischen ihnen das tief in das Bergmassiv wieein großes Kar hineingeschnittene Kesseltal Pucahuaico(»rotes Tal«), über dessen oberen roten Felswänden dieEismauern des Gipfelfirns aufsteigen. West- und Nordgipfelrücken in dieser Ansicht nahe zusammen, getrennt undzugleich verbunden durch einen leicht gesenkten Firnsattel, überdem die weiße Kuppe des Südgipfels, des höchsten von[50]allen (6310 Meter), noch hindurchblickt. Von der Ostflankedes Stübelgletschers, zwischen diesem und dem tiefenPucahuaico, streckt der Berg nach Nordnordwesten einenhohen langen Fels- und Schuttkamm, die Puca Loma, wieeinen riesigen Strebepfeiler auf Cunucyacu herab aus, aufdessen Rücken man ohne wesentliche Hindernisse bis zurEisgrenze aufsteigen kann; diese liegt dort über 5700 Meter,höher als irgend woanders am Chimborazo, und der Übergangauf den Firnmantel der Gipfeldome schien nichtschwierig zu sein. Die Wahl dieser, wie auf den erstenBlick zu sehen war, direktesten Aufstiegroute ergab sich fürmich von selbst.
3. Die erste Besteigung.
Am frühen Morgen des 20. Juni, nach einer stürmischenNacht, in der ich an bohrendem Kopfschmerz, HerrReschreiter an Atembeklemmungen merkte, daß unsere Höhenanpassungnoch unvollkommen war und die Bergkrankheit(Soroche) sich anmeldete, ritten wir durch das Tal desPucayacu dem Chimborazo entgegen. Ich hatte sechs Lasttiere,den geländekundigen Indianer Nicolas aus Cunucyacuund die acht in Chuquipoquio angeworbenen Indianer mitgenommen,die weiter oben bei Beginn des schwierigenTerrains die Lasten von den Tieren übernehmen sollten.Auf dem flachen Talboden des Pucayacu weideten kleineHerden von Schafen und Lamas und wurden bei unsermNahen flüchtig. Lamas als zahme Herdentiere in denPáramos sind immer eine sonderbare Erscheinung, an dieman sich auch bei längerm Aufenthalt nur schwer gewöhnenkann; so sehr machen die wie Rehe oder Antilopendastehenden, äugenden und sichernden Tiere den Eindruck[51]von Wild, daß sich schon mancher erfahrene Reisendetäuschen ließ.
Nach zweistündigem Ritt beim Hato Poquios (4087Meter) angelangt, ließ ich für uns zwei kleine Fässermit Trinkwasser füllen, da es oben auf dem Nordnordwestgratkeine Quellen mehr gibt. Ein kurzes Stück danachbeginnt bei 4100 Meter die starke Steigung der Nordnordwest-Loma(Puca Loma) und damit im orographischenSinn der Nordfuß des Chimborazomassivs. Sobald wir hierden steilern Anstieg begonnen haben, lassen wir das Grasland(Pajonal) hinter uns und treten in eine geognostisch,klimatisch und botanisch ganz andere Landschaft ein. Diesevom Berg ausgestreckten Steilrücken (Lomas) bauen sichteils aus Felsleisten und -graten, teils aus zersplittertemFelsschutt, Bimsstein und Sand auf, in dem nur wenigezähe Gewächse aushalten können. Der Vegetationscharakterist derselbe wie auf dem Wüstenplateau der West- undWestnordwestseite, nur die Pflanzenarten sind weiter oben,wo die klimatischen Extreme noch viel größer werden, andereals dort. Über die exponierten Hänge und Kämme braust dengrößten Teil des Tages ein kalter heftiger Wind, entwederals Fallwind von den Eisgipfeln des Berges heraboder als Steigungswind vom westlichen Unterland heraufoder als Passat von Osten her. Mit sausendem Getösewirbeln uns dicke Staubtromben entgegen, zum Entsetzenunserer Mulas, die jedesmal kurz kehrtmachen und auszureißenversuchen. Wie auf dem Wüstenplateau der Westseiteweht auch hier der Wind den Flugsand zu langenwelligen und tausendfach gerippelten Dünen zusammen. Vomwindgepeitschten Flugsand geglättete und geschliffene Steine(Dreikanter) liegen in Mengen umher. Der Wind begräbt[52]einerseits die niedrige Vegetation im Sand, andererseitsentblößt und tötet er die Polsterpflanzen und das Knieholzdurch Deflation. Oft sehen die abgestorbenen sonnengebleichtenWurzelstöcke aus, als seien sie künstlich herauspräpariert.
Aber die lebenden kleinen Pflanzen stehen auch jetzthier im Frühlingsschmuck ihrer zahllosen zarten Blüten undverleihen dem sonst so düstern Bild einen freundlichenSchönheitsschimmer. Zu Millionen sind in der Regionzwischen 4100 und etwa 4500 Meter innerhalb des Gesichtsfeldesdie kleinen krokusartigen oder sternförmigen weißen,violetten, purpurroten und gelben Blumen der schon genanntenArten über die Sand- und Schuttflächen verstreut.Über dieser Region, etwa zwischen 4500 und 4800Meter, treten die knorrigen, niedrigen Chuquiraguasträucherzur obersten Vegetationsformation des Berges zusammen,nicht sowohl durch Vermehrung ihrer Individuen, als durchVerschwinden der vielen kleinen Gewächse, die sie bis hierheraufbegleitet haben. Auch sie stehen jetzt im Flor undbeleben mit ihren daumengroßen rotgelben pinselförmigenBlüten die einsame Landschaft. Da und dort schießen umdie Blütenstände ein paar winzige Kolibris wie Diamantblitzehin und her, grün und rot metallisch schillernde Tierchen(Oreotrochilus).
Gegen Mittag rasteten wir in 4720 Meter Höhe untereinigen uns gegen den Ostwind schützenden Felsen. Mehrerevon ihnen sind vom sandbeladenen Wind geschliffen undgefurcht, so daß man zuerst an Gletscherwirkung denkenkönnte. Hier leuchtete uns aus einigen geschützten Standorten,wo der Sandboden ein wenig feucht ist, die merkwürdigsteund schönste aller hochandinen Pflanzen entgegen,[53]das in einen dichten hellbraunen Haarpelz gekleidete,etwa 30 Zentimeter hohe, großblätterige, dickstengelige Culcitiumrufescens, das abgesehen von seinen fahlgelbenquastenförmigen Blüten einem riesigen Edelweiß unsererAlpen gleicht.
Unter einem stürmischen Schneegestöber, das uns denersten hochalpinen Gruß des im Wolkengewirr verstecktenChimborazogipfels brachte, ritten wir steil weiter hinan übergrobes Trümmergestein. Bald aber war unserm Vordringenim Sattel Halt geboten. Die Tiere, von denen wir abgesessenwaren, rutschten in dem lockern Schutt immerwieder um die Hälfte des Schrittes zurück, blieben nachjeden weiteren paar Metern prustend und mit fliegendenWeichen stehen und versagten schließlich ganz. Sie unterlagensichtlich dem Einfluß der dünnen Höhenluft. Bei 4920 Meterließ ich absatteln und abladen und den acht Indianern soviel aufpacken, wie jeder schleppen konnte. Der Rest desGepäcks blieb liegen, um am Spätnachmittag von denPeones nachgeholt zu werden. Von uns Weißen trug jederseinen vollgefüllten Rucksack nebst allen möglichen Zutaten.Während sich die Arrieros mit den Tieren schleunigst nachCunucyacu hinab aus dem Staube machten, mühten wiruns auf den abschüssigen Schutthängen langsam weiterbergan; auch wir alle zwei bis drei Minuten kurz imStehen rastend, um der Atemnot Herr zu werden, diejetzt in 5000 Meter bei der schweren Anstrengung undBelastung mit Macht über uns kam. Sonstige Beschwerdenvon Bergkrankheit blieben noch aus. So brauchten wirzwei gute Stunden, um 250 Meter zu bewältigen.
Mitte des Nachmittags trafen wir auf dem Rücken desNordnordwestgrates bei 5145 Meter auf einen einigermaßen[54]ebenen Fleck neben einem Haufen großer Felsblöcke,der unseren beiden kleinen Zelten einigen Schutz gegen denstürmischen Ostwind und gegen die von den Schneegipfelnherunterblasenden Fallwinde gewähren konnte. Der übrigeTeil der Nordnordwest-Loma bis an die Eisgrenze bei 5700Meter lag als ein einziger langer Schuttwall sturmfreiüber uns. Also wurde in dem geschützten Winkel das Lageraufgeschlagen, die Zeltstricke mit großen Steinen fest verankert,und was nicht in den Zelten untergebracht zu werdenbrauchte, zwischen den Felsen verstaut. Während wir zweiEuropäer mit Santiago das Lager herrichteten, holten diePeones die unten an der Abladestelle zurückgelassenenübrigen Lasten nebst einem Vorrat von Knüppelholz heraufund trollten dann, belohnt durch einen Extraschnaps,mit dem Befehl von dannen, uns in zwei Tagen wiederabzuholen. Bei uns im Lager blieb außer dem unvermeidlichenSantiago nur der in Cunucyacu angeworbene IndianerNicolas.
Kaum hatten wir unsern Unterschlupf fertig, als esvon Osten her so stark zu wehen und zu schneien begann,daß an weitere Unternehmungen fürs erste nicht zu denkenwar. Wir hockten und lagen den Rest des Nachmittagsim Zeltchen, tranken Tee, rauchten, schrieben Tagebuch undplauderten. Als es am Abend klarer wurde, hatten wir etwa15 Zentimeter Neuschnee um uns, und nach oben hin waram Berg noch viel mehr gefallen. Dort oben aber sahenwir jetzt anstatt des westlichen Schneedoms eine ungeheuerehelle runde Wolkenhaube, die vom Oststurm fortwährendnach West gejagt wurde und sich von Osten her immer wiederüber den Schneegipfeln erneuerte.
In der Nacht stellte sich auch in unserer Region der Oststurm[55]wieder ein, und zwar mit verdoppelter Gewalt undmit Schneetreiben; zornig stieß und riß er an unserenZelten, »denn die Elemente hassen das Gebild von Menschenhand«.Wir mußten mehrmals in die schneidige schneeigeKälte hinaus, um die gelockerten Zeltstricke neu zu verankern.Zum Schlafen kamen wir nur wenig, denn sobaldwir uns zur Ruhe ausstreckten, begannen die Nöte derBergkrankheit, des »Soroche«, uns zu quälen. Um dieLungen zu erleichtern und das Herz zu beruhigen, mußtenwir uns immer wieder aus der gestreckten Lage halb aufrichtenund in tiefen Atemzügen den geringen Druck undSauerstoffgehalt der Luft unserer 5145-Meter-Höhe zuparalysieren suchen.
Gegen Morgen stand das Thermometer auf 5½Gradunter Null, und das in unseren Metallbechern im Zelt stehengebliebeneWasser war zu Eisklumpen gefroren. Das Wetterblieb sich gleich. Der eisige Ost heulte nach wie vor und triebden am Vortag gefallenen Schnee in langen fliegendenFahnen über unsern Grat. Oben über der Gipfelregion zognoch immer die runde, breite, weiße Wolkenmasse eiligdahin. Unter diesen Umständen mußten wir uns mit einerbloßen Rekognoszierung auf unserm Grat hinauf begnügen,die uns in drei Stunden bis an die großen »RotenNordwestwände« (5715 Meter) brachte und uns zeigte, daßdort der Übergang auf den Firn des Stübelgletschers mitSteigeisen gut ausführbar war.
Als wir am folgenden Morgen (22. Juni) gegen 6 Uhrzur Besteigung des Westgipfels aufbrachen, der sich noch1000 Meter über uns wölbte, war der Neuschnee großenteilsweggeblasen und weggetaut, aber der Ostwind stürmtenoch und machte uns das Steigen in dem losen, steilen[56]Schutt sehr sauer. Besonders Santiago, der ebenfalls einenvollen Rucksack tragen mußte, klagte über Kopf- undOhrenschmerzen, Atmungs- und Herzbeschwerden und hinktestöhnend hinterher. Besser ging es, als wir vom Schuttauf die Schneefelder kamen, die noch auf der obern Streckeunserer Loma lagen. Der Indianer Nicolas zögerte erstvor dem Betreten des Schnees, da er nur seine gewohntenBastsandalen (Alpargatas) über einem Paar meiner Wollstrümpfetrug. Aber eine Prämienzulage gab den Ausschlag,und er hat sich nicht den mindesten Schaden getan;eine unerhörte Abhärtung.
Die Schneehänge waren hier in lauter schmale, flachkonkaveStufen von Handbreite wie die »Schneegangeln« unsererBerge gegliedert, die ziemlich horizontal von Ost nach West,also fast senkrecht zum Neigungswinkel des Berghanges verliefenund uns, da der Schnee jetzt fest gefroren war, dasSteigen wie auf Treppen erleichterten. Dank ihnen erreichtenwir trotz des stürmischen Windes schon nach zwei Stundenden Fuß der großen »Roten Wände«, wo der Übergang aufden Firndom des Westgipfels beginnt.
Auf den »Roten Wänden« lagert die gewaltige Firn-und Eisdecke des Gipfeldoms mit senkrechten, sechzig undmehr Meter hohen Abbruchmauern, an denen die Schichtungdes Schnees und die Bänderung des Eises zutage tritt, wiedie Lagen und Bänke der Laven und Agglomerate an denunter den Eiswänden abstürzenden Felshängen. Die beidengroßen Massen werden äußerlich miteinander durch die gefrorenenSchmelzwasser, die riesengroßen Eiszapfen, Eisstalaktitenund Eisstalagmiten verbunden, die, 50 bis 60Meter lang und 10 bis 15 Meter dick, über die Wändeherabstarren: ein Bild von grotesker Großartigkeit.
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Unsere beiden Begleiter kehrten hier, in 5715 MeterHöhe, zum Zeltlager zurück. Westlich vor uns lag jetzt derOberteil des Stübelgletschers, der bergauf in den Firnmanteldes Westgipfels übergeht. Der Übergang auf denFirnhang war mit unseren Steigeisen nicht besondersschwierig. Fernerhin trafen wir nur an wenigen Stellenauf ausgeapertes Eis; meist hatten wir eine gut tragende,von der Sonne schalenförmig angeschmolzene Firnschicht unterden Füßen, ganz ähnlich den Schneehängen, über die wirheraufgekommen waren. Das war der Anfang eines Schmelzprozesses,der, wie wir sieben Wochen später sahen, bei Fortdauerder nämlichen schmelzenden Faktoren allmählich dieFirn- und Eisdecken zu den wunderlichen, wilden Formendes »Nieve penitente« oder »Zackenfirns« ausgestaltet, deruns bei unserer spätern Besteigung die allergrößten Schwierigkeitenbereitete. Auf diesen welligen Firnfeldern traversiertenwir nun nach Westen hinüber, weil ich mutmaßte,daß wir es dort mit weniger steilen Abhängen zu tunhaben würden. Dies war jedoch ein Irrtum. Es dauertenicht lange, so gerieten wir in eine Zone kolossaler Spalten,die uns Halt geboten. Bei einer Breite von 20 bis 30 Metererreichen sie eine Tiefe von mehr als 150 Meter, ohneden Felsgrund zu treffen. Durch mannigfache Querklüftungsind Eistürme von 50 bis 60 Meter Höhe stehengeblieben,aber meist schief und bereit, jeden Augenblick auf die tieferenPartien des Stübelgletschers hinunterzustürzen, wo ihreTrümmer massenhaft angehäuft sind. In wunderbarerSchönheit hebt sich in den gigantischen, von blitzendemSonnenlicht übergossenen Massen die weiße und hellblaueSchichtung und Bänderung des Firnes und Firneises ab,hier und da getrennt durch dünne Staubschichten, die, soweit[58]es nicht Verwitterungsstaub ist, wohl teilweise vom immertätigen Sangayvulkan, zum Teil auch vom Cotopaxi stammen.Nur in den tieferen Lagen, 20 bis 30 Meter unter der Oberfläche,kommt ein dunkelblaues, dichtes Gletschereis zumVorschein.
Vom Unterland war aus unserer großen Höhe von fast6000 Meter nichts zu sehen; es war verdeckt durch ein unabsehbaresweißwelliges Wolkenmeer, das langsam ausWesten nach Osten hinwallte und nur selten den rötlichenBergfuß durchschimmern ließ. In unserer Region aber wehteaus entgegengesetzter Richtung der übliche Ostpassat der Höhe,und zwar oben mit noch stark zunehmender Heftigkeit;denn über den Gipfel weg fluteten die Nebel in geschlossenerrunder Masse, einem ungeheuern weißen Wasserfall gleich,auf die Westseite zu uns herab, wo sie sich nahe über unsin scheinbares Nichts auflösten. Das ganze Phänomen istvon föhnartigem Charakter und sehr ähnlich dem sogenanntenTafeltuch auf dem Tafelberg bei Kapstadt, wo ich es vorJahren tagelang in schönster Entfaltung beobachten konnte.
Nach Westen gab es für uns wegen des Spaltenlabyrintheskein Weiterkommen. Also schwenkten wir direktauf den steilen Gipfelhang ein, der hier über 40° Neigung hat.Dank unseren Steigeisen brauchten wir nur wenig Stufenzu schlagen. Trotzdem begann infolge des abnehmendenSauerstoffgehalts und Luftdrucks in der 6000-Meter-Höhedas Steigen uns beiden sehr schwer zu werden. Wir mußtenalle zehn Schritt einige Sekunden pausieren, um die Lungenwieder aufzufüllen und den übermäßigen Herzschlag zu beruhigen.Unseres Willens aber bemächtigte sich, ohne daßwir uns körperlich ermüdet fühlten, eine eigentümliche Erschlaffung,deren Überwindung die höchsten Anforderungen[59]an den Intellekt stellte. Nur in so großen Höhen von 5000bis 6000 Meter habe ich an mir und anderen diese nervöseEnergielähmung erlebt, die zweifellos mit der Sauerstoffverminderungzusammenhängt. Wie früher auf dem Kilimandjaro,so wiederholte sich diese Erfahrung später auf demCotopaxi.
Langsam ging es so bis zu etwa 6050 Meterhinauf. Da tat sich vor uns eine breite Eiskluft auf, diedie ganze Westseite des Gipfels umspannte und, wo wirauch den Versuch machten, keine haltbare Überbrückung bot.Hier ging es mit menschlichen Kräften nicht weiter. ZumSuchen einer neuen Anstiegsroute von der Eisgrenze ausreichte aber die Zeit nicht mehr hin; es war 2 Uhr vorüber,und die Nebel wurden immer dichter. SchwerenHerzens mußten wir deshalb, 200 Meter unter dem Gipfel,den Entschluß zur Umkehr fassen. Wir brachten noch einehalbe Stunde mit Untersuchen der Firn- und Eisstruktur indieser Höhe, mit Messen, Skizzieren und Photographierennützlich hin und traten dann den Rückzug an. Der Abstiegging, wie immer auf gutem Firn, sehr rasch. EineStunde später schnallten wir bei den Felswänden an derEisgrenze unsere Steigeisen ab und rutschten im losenprasselnden Schutt auf der Nordwestloma zu unseren Zeltenhinunter.
Bald nach unserer Rückkunft ins Lager steckte der obereBerg wieder ganz in einem wildbewegten Wolkenchaos, unddie Nacht bescherte uns einen neuen kräftigen Schneefall,der, bis zum Morgen andauernd, alle weiteren Unternehmungenin den oberen Regionen für die nächsten Tagevereitelte. Und da die Peones, die am Vormittag, wieverabredet, heraufkamen, um uns eventuell abzuholen,[60]einmütig erklärten, sie würden bei so schlechtem Wetter nichtnoch einmal heraufsteigen, ließ ich das Lager in der Hoffnungabbrechen, daß wir es ein paar Wochen später mitWind und Wolken besser treffen würden. Was wir diesmalvon Wind und Schnee und Eis, von Gesteinen und Pflanzenund anderen interessanten Dingen hier oben gesehen, untersuchtund gesammelt hatten, lohnte ja auch schon die Mühe.
Eine Entschädigung für die total vernebelte Aussichtnach oben gewährte uns aber vor unserm Aufbruch dasunvergleichliche Panorama, das sich unter uns in der abgeschneiten,kristallklaren Atmosphäre nach Osten und Nordenhin öffnete. Vom Cayambe im Norden bis zum CerroAltar im Osten standen sie alle, die Schnee- und EisriesenHochecuadors, im milden Glanz der Morgensonne in langenReihen vor uns, lauter Viereinhalb- und Fünf- bis Sechstausender.Ich nenne das Panorama unvergleichlich, nichtum damit einen Superlativ des Eindrucks auszusprechen,sondern weil diese hochandine Vulkanlandschaft Ecuadorsso eigenartig ist, daß keine andere, auch nicht im übrigenSüdamerika, mit ihr verglichen werden kann. Im Gegensatzzu einer europäischen oder asiatischen Alpenlandschaft mitihren zusammenhängenden Gebirgsketten und langen, vonewigem Schnee bedeckten Firsten und Kämmen sehen wirhier lauter große, meist kegel- oder pyramidenförmige Einzelberge,die durch Intervalle von viel größeren Dimensionen,als sie die Berge selbst haben, voneinander getrennt sindund nur von sehr günstigen Standpunkten aus die riesigenReihen erkennen lassen, zu denen sie angeordnet sind. Demgroßen Bild mangelt nicht bloß die Mannigfaltigkeit derFormen und die reiche Bewegtheit der Linien, die ein Faltengebirgewie die Alpen oder den Kaukasus so reizvoll machen,[61]sondern auch der belebende Wechsel von schneeigem undfelsigem Hochgebirge mit dunklen Wäldern, grünen Weidetriftenund freundlicher Kulturstaffage, die wir nur seltenin einer Alpenlandschaft vermissen.
Diese ecuatorianische Andenlandschaft ist von erhabenerSchönheit durch die große Einfachheit ihrer Gestalten, durch dieklassische Ruhe ihrer Linien, durch die ungeheuere Weite ihrerAusdehnung, durch den tiefen Ernst ihrer gleichmäßigen, meistdüstern Farbenstimmung und ihrer unendlichen Einsamkeit.Wie die Steppe oder die Wüste ist sie aber als Ganzes durchausunmalerisch und kann deshalb auch als Ganzes vom Malernicht in ihrer Erhabenheit wiedergegeben werden. Um dieGröße der Natur zu bewältigen, muß die Kunst auch indiesem Fall zusammenfassen, verallgemeinern; sonst mußsie sich mit Ausschnitten, mit Teilen begnügen. Und solcheTeile sahen wir auch dort von unserer alles überragenden,hohen Warte im berückenden Zauber malerischer Beleuchtungenund Wolkeneffekte. Wenn ich aber das Ganze überschaute,wie da die violettbraunen, weißgipfeligen Pyramidenund Kegel bis in unabsehbare Ferne emporragtenüber das flache hellgraue Wolkenmeer, das allmählich alledazwischenliegenden Ebenen und niederen Berggruppen verdeckte,so hatte ich den Eindruck einer großen polarenInsellandschaft und dachte an die eisbeladene VulkaninselJan Mayen und an Bilder aus dem Kurilen-Archipel.
Das herrliche Schauspiel dauerte kaum eine Viertelstunde,dann zogen die Ostnebel, von den Firnhörnern desnahen, mit Neuschnee völlig überzuckerten Carihuairazoherüberwogend, den Vorhang wieder zu, und wir eiltenunsern Leuten nach, die inzwischen mit den Zeltballen, Blechkoffernund Kasten bergab gerannt waren, wo an dem[62]früheren Wechselplatz (4920 Meter) die Arrieros mit denMaultieren uns erwarteten.
In Cunucyacu gab es bis in die Nacht hinein vielArbeit mit dem Verpacken der Sammlungen, Neuordnungder Lasten, Revision der Instrumente usw. Aber amnächsten Morgen war die Karawane schon wieder fix undfertig auf den Beinen, um der Nordseite des Chimborazoeinen Besuch abzustatten, wo der Reiß- und derSprucegletscher schon längst aus der Ferne mein Interesseerregt hatten. Unser Führer war wieder der junge IndianerNicolas.
Das Wetter war nebelig und regnerisch. Je näher wirdem Carihuairazo und der Gegend des ob seiner Stürmeberüchtigten Abraspungopasses kamen, desto kälter sausteuns wieder der Wind von Osten entgegen. Schweigendund bis über die Ohren in die Regenponchos eingehüllt,ritten wir einer hinter dem andern auf dem kaum fußbreiten,tief ausgetretenen Pfad durch den triefnassen Graspáramohinan.
Bei einigen am sumpfigen Weiher Pailacocha liegendenGrashütten, die mit 4266 Meter Höhe die höchstgelegeneAnsiedlung (Hato) am ganzen Chimborazo darstellen, ließich die Karawane mit den Arrieros zurück, ordnete das Aufschlagender Zelte an und ritt, da es noch ziemlich früh amTag war, mit Herrn Reschreiter und dem Indianer Nicolaszum Nordhang des Chimborazo fort, wo uns der Reißgletscherentgegenleuchtete. Gleich hinter unserm Lagerrückengeht es leicht hinab in ein weites, wannenförmiges, grasigesTal, das Pailacuchu, das zum Berg hin in ein mehrsteiniges, flachsohliges Tal mit amphitheatralischem Talschluß[63]übergeht, das Sancharumi. Runde, flache Hügel undlange niedrige Bodenwellen, großenteils mit Azorellapolsternbewachsen, aber an vielen Stellen auch den nackten, typischenMoränenschutt darunter hervortreten lassend, ziehenüber den Talgrund hin; lange und kurze Wälle von Schuttliegen an und auf den felsigen Seitenrücken des Tals, diees von den Nachbartälern trennen, und an den Felsender östlichen Tallehne bei 4496 Meter entdeckte ich baldeine vom Gletscher abgeschliffene und geschrammte Wand.Das ganze Tal, das eine mittlere Höhe von 4300 Meterhat, ist ein altes Gletscherbett; es zieht sich nordostwärtsin der Richtung zum Abraspungopaß hin und hat einstseinen eisigen Inhalt allem Anschein nach dem großen Gletscherzugeführt, der zwischen Chimborazo und Carihuairazonach Osten hinabfloß. Im Hintergrund dieses Sancharumi-Talesragt die Zungenspitze des Sprucegletschersherein.
Zum Sprucegletscher ging aber nicht mein Weg, sondernin das höhere, westlichere Nachbartal hinauf, in dessen Talschlußder breite, steile Reißgletscher seine beiden Zungenhineinstreckt. Er nährt sich teils von den Firnmassen desNorddoms, zum kleinern Teil vom Westgipfel, dessen Firnpanzer1000 Meter über dem Gletscherende am Oberrandder nördlichen Felswände abbricht und die abgebrochenenhausgroßen Blöcke in einem einzigen Sprung auf dieGletscherzunge hinunterstürzen läßt, wo sie, in Millionenvon Splittern zerberstend, die Gletschermasse vermehren.
Wir reiten über enorme alte Moränenmassen, die dasReißtal zum größten Teil erfüllen, dem Gletscher entgegen.Die farbenreiche, reizvolle Flora der obersten alpinen Zone,die uns so oft schon entzückt hat, begleitet uns auch hier[64]bis zu etwa 4800 Meter hinauf, wo die jungen Moränenbeginnen. Auch hier schwirren blitzende Kolibris um diehonigreichen Chuquiraguasträucher und »stehen« mit vibrierendenFlügeln vor den Blüten in der Luft wie Nachtfalter.Kaum 100 Meter über uns ziehen zwei Kondoreihre großen Spiralen und spähen nach einem gefallenenStück Vieh oder nach einem achtlosen Andenhasen. Einkleiner Bach, Tarugayacu, fließt von der Stirn des Reißgletschersab; alles übrige Schmelzwasser, soweit es nichtschon auf dem Gletscher verdunstet, versickert schnell imMoränenschutt und kommt erst 600 bis 800 Meter tiefer auffestem Gestein wieder zum Vorschein.

Während hier Herr Reschreiter zurückblieb, um trotz derRegenschauer und der Schneewirbel ein Temperabild desGletschertals und der Eiszunge zu malen, kletterte ich mitdem immer bereiten Indianer Nicolas über die verwünschtrutschigen, jungen Moränenhügel und -halden noch über300 Meter hinauf zum Gletscher selbst. An der Gletscherstirn(5101 Meter) kommt der Abflußbach nicht aus einemGletschertor hervor, sondern in mehreren kleinen Wasserfädenaus verschiedenen Teilen des der Grundmoräne aufliegendenEisbodens. Sein Wasser ist von der Grundmoräneder rotbraunen Laven rötlich gefärbt, weshalb erPucayacu (Rotwasser) genannt wird. Rotbraun ist auchdie ganze Stirn der Gletscherzunge bis zu 100 Meterhöher hinauf vom auflagernden Moränenschutt. Diese sattenFarbentöne vereinen sich mit dem Silbergrau des Gletschereises,dem reinen Weiß der Firnhänge, dem tiefen Blaudes Hochgebirgshimmels und dem millionenfachen Flor derkleinen Gebirgsblumen zu einem wundervollen Bild andinerSymphonie und Harmonie.

Nach stundenlangem Zeichnen, Malen, Messen, Photographieren,Sammeln kamen wir bei Sonnenuntergang totmüdeins Lager zurück und merkten in unserm festen, kleinenZelt und in den warmen Schlafsäcken nicht, daß es in derNacht stürmte, regnete, hagelte, schneite, bis die Morgensonnedem Aufruhr ein Ende machte. Bei schönster Beleuchtungkonnte ich den jetzt absolut wolkenlosen nördlichenChimborazo ein halbes dutzendmal photographierenund vieles sehen und messen, was am Tag vorher unsichtbargewesen war. Auch der Carihuairazo (5106 Meter)stand einige Minuten ganz frei vor uns und überraschtemich vor allem durch die außerordentlich große Ausdehnungdes Firnmantels seiner Südwestseite.

Als wir zum Abraspungo aufbrachen, um über denPaß und durch das Abras-Tal nach dem Städtchen Mocha amOstfuß des Carihuairazo zu gelangen, rüstete sich der Wetterhimmelbereits, uns auf der Paßhöhe würdig und landesüblichzu empfangen. Über den obern Chimborazo legte sichwieder eiligst von Osten her die bekannte weiße Sturmwolkenhaube.Auch vom Carihuairazo kamen die dicken Nebelwie Sturzbäche herüber- und heruntergeströmt, und baldbrausten die kalten Ostwinde mit Nebel, Regen und Schneeüber den Paß und über uns selbst, daß uns Hören undSehen verging. Den ganzen Tag kämpften wir dem Hundewetterentgegen, bis wir aus dem Abras-Tal in die Páramosder Ostseite hinabkamen; ein böses Stück Arbeit für unsund ein noch böseres für unsere Tiere.
Der Abstieg durch das Abras-Tal nach Osten ist vielsteiler als der Anstieg auf der Westseite zum Abraspungo-Paß.Ohne den ortskundigen Indianer Nicolas wäre unsein Durchkommen ganz unmöglich gewesen.
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Eine Zeitlang führte unser Pfad auf offenbaren Moränenhügelnjüngern Alters entlang, und wo er an anstehendemGestein vorbeiging, waren die Felsen gletschergeschliffeneRundhöcker; aber das unsichtige Regen- undNebelwetter verbot jeden Einblick in die weitere Umgebung.Und bald verlangte auch der Weg selbst – wenn man diesenvon braunen Regenbächen durchrauschten, steilen, steinigenoder lehmigen Graben, in dem wir ritten oder zu Fußfortstampften, einen Weg nennen will – unsere ganzeAufmerksamkeit. Alle Augenblicke rutschten die Tiere aufden glitschnassen, lehmbedeckten Steinblöcken aus und setztensich mit der Hinterhand ins Wasser, oder sie sanken bis anden Bauch in den zähen Morast und blieben stecken, biswir ihnen zu viert mit Ziehen, Schieben und notgedrungenunbarmherzigen Hieben heraushalfen. An Reiten war danicht mehr zu denken, und unser Aussehen spottete baldaller Beschreibung. Die Arrieros mit den Lasttieren bliebenimmer weiter hinter uns zurück.
Nach Überwindung einer unter solchen Umständen lebensgefährlichenSteilstufe betraten wir endlich bei 4160 Meterfesten grünen Talboden und kamen, nun wieder im Sattel,rascher vorwärts. Auch die Regen- und Nebelschleier wurdenlichter; bald erschien freundlichere Vegetation, vereinzelteniedrige, mit Bartflechten behangene Bäume und Sträuchervon Berberitzen und Fuchsien, die jetzt sämtlich Blüten trugen.Trotz der alpinen Zwerghaftigkeit wachsen die Pflanzen hierauf der immer feuchten östlichen Passatseite doch viel üppigerals drüben auf der westlichen Leeseite des Berges. MehrereWildbäche brausen von links (Carihuairazo) und rechts(Chimborazo) dem Abrasbach zu, der allmählich zu einem»Rio« anschwillt. Sie kommen in Wasserfällen über die[67]steilen Seitenwände des Tals herab, das die typische Trogformeines übertieften alten Gletscherbettes hat.
Da uns nun unser Weg gewiesen war, nahm unserFührer Nicolas Abschied, um sofort wieder über den stürmischenPaß allein mit seinem Pferdchen nach Cunucyacuzurückzukehren. Ich lohnte dem braven Burschen seine gutenDienste und versprach ihm baldige Wiederkehr, die dennauch einige Wochen später erfolgte. Bei 3930 Meter verließenwir das sich plötzlich zur Schlucht verengende Bachtalund traten auf die weiten welligen Graspáramos hinaus,die langsam zur Hochebene von Riobamba absinken. Balderreichten wir, nun wieder an Schaf- und Rinderherdenvorbeireitend, die große nach Quito führende Landstraße(Camino real), auf der es in langsamem Trab zwischen denBergen Carihuairazo und Igualata hindurch ins Tal desRio de Mocha hinüberging. In tiefer Dunkelheit langten wirendlich in dem auf steiler Hügelhöhe gelegenen StädtchenMocha (3300 Meter) an. Es war der Ausgangspunkt vonTouren auf den Carihuairazo und in nördlichere Bergregionen.
4. Die zweite Besteigung.
Sieben Wochen waren seit unserer ersten Chimborazotourverstrichen. Sie hatten uns in die Ostkordillere zum CerroAltar (s. S.83), dann das interandine Längstal entlang nachLatacunga, hinauf zum Cotopaxi (s. S.128) und an den abseitsstehenden, schwer zugänglichen Quilindaña geführt. Dannwaren wir längs der Hochlandstraße an den Vulkanen desmittlern Ecuador, dem Iliniza, Corazon und Rumiñagui vorbeinach der Landeshauptstadt Quito geritten, hatten über dieinterandine Mulde von Quito quer hinweg einen Abstecher zumAntisana auf der Ostkordillere gemacht (s. S.104) und waren[68]schließlich nach Riobamba zurückgekehrt. Nun brachen wirvon hier aus am 7. August zum zweiten Male zum Chimborazoauf.
Die gute Jahreszeit war dicht vor ihrem Ende, die Monateder alltäglichen Gewitterstürme standen vor der Tür,und der Wetterhimmel machte bereits ein finsteres Gesicht.Die Riobambeños meinten, es sei nun in den »Cerros«nichts mehr zu machen und wir sollten uns die Mühesparen; aber ich wollte es auf einen Versuch ankommenlassen, da sich meine Reise dem Ende näherte. Meine kleineKarawane, Menschen und Tiere, war jetzt auf meine Reisezweckeund Anforderungen so gut eingearbeitet, daß esjammerschade gewesen wäre, wenn ich mit ihr die letzteGelegenheit, vor unserm Abschied aus Ecuador noch einmaldie Chimborazogletscher zu besteigen und die Chimborazofirnezu untersuchen, nicht voll ausgenutzt hätte.
Unter zweifelnden Glückwünschen der Riobambeños rittenwir um 10 Uhr morgens aus der Stadt, direkt nach derSüdseite zum Tambo Totorillas. Vor 5 Uhr sattelten wirunsere Mulas bei der Totorillashütte (3979 Meter)ab. Der dicke Nebel ließ uns nichts anderes vornehmen alsin der nächsten Nachbarschaft botanisieren und im Bett desTotorillasbaches Steine sammeln, die hier von den drei Hochtälerndes südwestlichen Chimborazo zusammengeschwemmtliegen. Am Abend brach doch noch der Mond durch das finstereGewölk und ließ da und dort ein Stück der beiden Hauptgipfeldes Chimborazo in wundersamem Silberglanz hervorschimmern.Das bleiche Licht und die schwarzen Schattenübertrieben alle Höhen und Tiefen ins Fabelhafte und verliehendem Berg einen Zug von Wildheit und sozusagen arktischerSchrecklichkeit, den er bei Tageslicht nicht hat.
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Unter dem Einfluß des Mondlichts entpuppte sich meineiner Arriero Spiridion, dem ich bisher nicht die mindesteSentimentalität angemerkt hatte, plötzlich als ein höchstgefühlvoller Gitarrespieler und guter Sänger. Auf meineFrage, warum er seine Künste nicht schon früher gezeigthabe, antwortete er lachend: »Solange du am Tage arbeitest,Padrón, will ich dich nicht stören oder habe ebenfallszu arbeiten; und wenn du am Abend aufhörst, bin ichso müde, daß ich nicht mehr an Musik denke.« Schade umdas wochenlange vergebliche Mitführen des Saitenspiels.Übrigens war der Mann, wie schon erwähnt, ein Kolumbianer;bei Ecuatorianern findet man solche brotlosen Künstewie Hausmusik nur ganz ausnahmsweise.
Weniger stimmungsvoll als der Abend war unser nächtlichesLager. Um den blutdürstigen Flohlegionen im Innernder Hütte zu entgehen, legten wir uns, da es ziemlich windstillwar, unter das Vordach des Tambo, anstatt unser Zeltweiter draußen aufzuschlagen. Aber in 4000 Meter Höhesoll auch ein wetterharter Hochgebirgsreisender vorsichtigsein. Bald sprang eine kalte Brise auf und wehte unsdirekt die greulichen Miasmen eines nahe beim Tamboliegenden Pferdekadavers zu, den, wie ich am Nachmittaggesehen, die Hunde schon zur Hälfte aufgefressen hatten.Auch in der Nacht waren sie bei der eklen Arbeit undknurrten einander ohne Unterlaß um die besten Bissen an.Ich retirierte mit meinem Schlafsack in einen andern Winkel,geriet aber in Haufen feuchter Kuhfladen, die hier alsBrennmaterial gesammelt und getrocknet werden. So wurdedie Nachtstimmung zwischen Kuhmist, Aasgestank, Schweinegrunzen,Feuerknistern, Bachrauschen, Gitarreklimpern,Lawinendonner, Windsausen und Mondschein eine wunderliche[70]Mischung von Beethoven, Lenau und Zola. Leider gewannenallmählich die häßlichen Bestandteile das Übergewicht. Alsich beim Hähnekrähen erwachte, war mir übel und wehzumute von all der Pestilenz, und der kalte Wind hatte mireinen bellenden Husten beschert, den ich wochenlang nichtwieder loswurde.
Bei Sonnenaufgang weiterreitend, fanden wir aufdem Arenal grande Schnee in reichlicher Menge liegen.Mitte Juni war davon nichts zu sehen gewesen. Damalsschmückten viele Tausende weitverstreuter kleinerBlumen die grauen Bimssteinflächen mit der Anmutdes jungen, farbenfrohen Frühlings. Aber die Herrlichkeitwar kurz; jetzt waren die zarten Kinder Floras verblüht,und es herrschte wieder für die übrigen elf Monate desJahres die tiefernste, dem Leben feindliche Starrheit deralpinen Wüste. Dieses schnelle Aufflackern des Frühlings,unter dem sich der Charakter der Landschaft für kurze Zeittotal verändert, ist in den äquatorialen Hochanden eine Eigentümlichkeitder obersten Region der Blütenpflanzen. In dernächsttiefern Region, in den Graspáramos, merkt mandavon nichts. Der Páramo bleibt immer »Pajonal« (paja= Stroh), in dem die Mehrzahl der Halme und Rispen verdorrtist; er prangt nie in frischem Grün, und die angebliche»Primavera eterna« dieser Zonen ist mit gleichem Recht einewiger Sommer oder ewiger Herbst zu nennen. »Ewig« istnur die Monotonie der Erscheinung in diesen Graspáramos.
Nach Nordwesten hin nahm der Schnee schnell wieder ab,und bei der Hacienda Cunucyacu sah alles genau so auswie Mitte Juni. Nur hatte der Schnapsteufel von den BewohnernBesitz ergriffen. Ein Besucher hatte nach Landesbraucheinen tüchtigen Vorrat Mallorca-Branntwein mitgebracht[71]und die ganze Familie so gründlich alkoholisiert, daßnichts mit ihnen anzufangen war. Erst nach zwölf Stundenbekam ich den Hausherrn so weit, daß er in der elegischenStimmung eines ungeheueren Katzenjammers meine Wünschenach Trägern und Proviant erfüllte.
Am 9. August vollführten wir von Cunucyacu unsernAufritt und Aufstieg zu unserm alten Zeltplatz überder Vegetationsgrenze in 5145 Meter Höhe. Allerwärtswaren noch Spuren unseres ersten Aufenthalts zu erkennen.Bald waren wir wieder mit den beiden Eingebornen vondamals in unseren beiden Zeltchen installiert.
Im Lauf des Nachmittags hatte ich wohl ein dutzendmalden Donner der Eislawinen gehört, die von den Abbruchwändendes Firnrandes in die tiefen Talrunsen der Nordseitedes Berges stürzten. Gegen Abend wurde es mit demSinken der Temperatur unter 0° still in den Eisregionen,aber um unser Lager pfiff der kalte östliche Nebelwind undbombardierte das Zelt mit körnigem Schnee. Wenn draußenein Unbeteiligter die beiden stummen kleinen Zelte im stürmischenSchneewehen der über 5000 Meter hohen Gebirgswüstehätte liegen sehen, er hätte sie für verlassen haltenmüssen. Wenn er aber durch die Türklappe gelugt hätte,hätte er in unserm Zelt ein eigenartiges Stilleben entdeckt.In der Mitte ein länglicher niedriger Stahlblechkoffer, undrechts und links davon, in den Schlafsäcken halb vergraben,zwei hockende Europäer in Wolljacken und Wollmützen,die beim trüben Schein einer alpinen KerzenlaterneNotizen schrieben, ihre zerrissenen Hosen flickten, Tabakrauchten und über die Aussichten des kommenden Tagesplauderten. In allen Ecken des Zeltes alpines Gerät, Kleidungsstücke,Proviantbüchsen und dergleichen: das Ganze[72]die primitivste, engste, einsamste Heimstätte europäischerKulturmenschen, die in eine große lebensfeindliche Naturfür kurze Zeit hineingezaubert ist; und gerade im Gegensatzzu dieser starren Natur gibt uns das kleine Heim ein sofreundliches Gefühl von Gemütlichkeit und Sicherheit, daßich es dem vielseitigen Reiz eines opulenten Zeltlagers inder weiten, freien, afrikanischen Steppe für kurze Zeit mindestensgleichschätze.
Im hellen Mondenschein ging es um 5 Uhr früh bei 5°Kälte fort. Im Osten dämmerte es schon leise. Der obereChimborazo lag frei im fahlen ersten Frühlicht, finstereSchatten zu uns her ausstreckend, aber auf dem ganzenUnterland lag ein graues, welliges Wolkenmeer, das sichlangsam zu heben schien. Da der Wind eingelullt war undder Nachtfrost den Schutt auf unserm alten nordnordwestlichenAufstieggrat gefestigt hatte, kamen wir schnell vorwärts.
Nach Sonnenaufgang kam schnell Bewegung in die Luft,und bald wehte der Ostwind mit immer dichter werdendenNebeln über die Firnfelder der Gipfelregion. Gegen 8 Uhrstanden wir unter den »Roten Wänden« (5715 Meter)am Unterrand der Firnhaube des Westgipfels. Das dickeFirnpolster, das noch sieben Wochen vorher auf derOberkante der Felswand gelegen hatte, war jetzt weggeschmolzen,aber die Felsen waren dadurch nicht zugänglichergeworden. Wir mußten sie wie damals westwärtsumgehen, um auf den Firnhang selbst zu kommen. Dahier aber unsere beiden Begleiter streikten, gab ich ihnenden Laufpaß. Geschwind trollten sie sich zum Lager hinunter.
8 Uhr 20 ging es mit den Steigeisen los. Wir überschrittenden Ostteil des Stübelgletschers, dessen Eis hierzum großen Teil von einer ¼ bis ½Meter dicken Decke[73]rötlichen, von den Felswänden herabgefallenen Schuttes überzogenwar, und standen, als wir die Felswände unter unshatten, vor der seltsamsten Schnee- und Eislandschaft, dieich je gesehen. Da es in dieser Zeit in den obersten Regionenoffenbar keinen gründlichen Neuschnee mehr gegeben hatte,hatten Sonne und Wind einen wahren Vernichtungskriegunbehindert führen können. Die vordem so gut begehbaren,wellig angeschmolzenen Firnhänge waren bis zum Gipfelhinauf in einen furchtbaren Stachelpanzer verwandelt, derdem andringenden Bergsteiger die stärkste Gegenwehr leistete.Die Oberfläche des Gletschers, soweit sie aus Firn bestand,und des ganzen Gipfelfirns starrten von eisigen Zacken,Schneiden, Säulen, Tafeln und Klippen, die, ½ bis 1½Meterhoch, zu Millionen nebeneinanderstanden, und zwarso dicht, daß man sich oft nur mit großer Mühe dazwischendurchzwängen konnte. Sie sind alle in mehr oder minderdeutliche ostwestliche Reihen angeordnet, haben am Fußeine Dicke von 10 bis 30 Zentimeter, verjüngen sich nachoben und sind an der Spitze von einem wahren Filigrandünn geschmolzenen Eises gekrönt, das unserer Phantasiealle nur denkbaren Figuren und Gestalten vorgaukelt. Wirhaben das typische Bild des »Nieve penitente«, des»Büßerschnees« oder »Zackenfirns« vor uns, wie erzuerst von den südlicheren und dann auch von den nördlicherenKordilleren Amerikas bekanntgeworden ist und wie ich ihnauch am obern Kilimandjaro neben eisigen Karrenbildungenangetroffen hatte.
Der Eindruck dieser Penitenteslandschaft war um soernster, als ihr jetzt die Sonne fehlte, die fahl durch diehoch ziehenden Nebel schimmerte. Man begreift die Entstehungdes Namens »Büßerschnee«. Einer unabsehbaren[74]Schar grauer Mönchsgestalten vergleichbar, stehen die Eisfigurenda, eine so phantastisch wie die andere und alle inlangen parallelen Reihen aneinandergeschart wie in tausendköpfigenProzessionen. An anderen Stellen dagegen glaubtman ein großes Ruinenfeld zerstörter alter Städte vor sichzu sehen, von denen nur die Mauerstümpfe in gleichmäßigerHöhe stehengeblieben sind, oder einen ungeheuern Friedhofvoll halbverfallener Grabsteine. Und wieder an anderenStellen sehen die zerfurchten und zerzackten Firnfelder inder perspektivischen Verkürzung aus wie schäumende Wellenzüge,die in wilder Bewegung plötzlich erstarrt sind.
In Anbetracht dieser Firnbeschaffenheit war es einerlei,wo wir den Einstieg begannen. Ohne auf unserer frühernRoute weiter nach Westen abzuschwenken, hielten wir unsdirekt auf den westlichen Gipfeldom zu. Der Aufstieg istaber hier so steil, daß ein Fortkommen ohne Steigeisenabsolut unmöglich ist, wenn man nicht stundenlang Stufenschlagen will. Jeden Schritt und Tritt mußten wir unszwischen den bis an den Unterleib oder die Brust reichendenFirnzacken und Eistafeln suchen, was uns außerordentlichviel Zeit kostete. Etwas besser wurde es, als wir auf einetrümmerbedeckte felsige Strecke kamen, die aus dem Firnmantelausgeschmolzen war. An ihre obere Kante vortretend,gewahrte ich unter mir die kolossalen Felsabstürze, die wirvon tief unten östlich über unserm Aufstiegsgrat thronen unddrohen gesehen hatten; und neben uns in erdrückender Näheund Größe brachen die Massen des Gipfelfirns zu jenenFelsabhängen hin in 60 bis 80 Meter hohen prachtvollen,gleichmäßig gebänderten und durchschichteten Eiswänden senkrechtab, überzogen von 20 bis 30 Meter langen baumdickenEiszapfen oder gefrorenen Wasserfällen. Durch[75]Spalten hatten sich Blöcke von Hausgröße schon teilweisevon der Gesamtmasse losgelöst und drohten jeden Augenblick600 bis 1000 Meter tief in die Abgründe des TalesPucahuaico zu stürzen, wo sie sich, wie wir unten sahen,zu einem regenerierten Gletscher vereinigen, der fast ganzunter Schutt begraben liegt.
Um 10 Uhr waren wir am Westende dieser Eiswändeangelangt (5986 Meter). Immer steiler hebt sich nun derFirnhang, immer tiefer zerschnitten und zersägt wird seineOberfläche, immer höher und dichter das Gewirr der Penitentes.Langsam und mit häufigen Unterbrechungen arbeitenwir uns aufwärts. Die Lungen pfeifen, der Atem röchelt,die Schleimhäute sind trocken und hart wie Leder. Plötzlicherscheint über uns eine mächtige Querspalte, die mit 5 bis15 Meter Breite wie ein Festungsgraben den Westgipfel aufder Nord- und Nordwestseite umringt und gleich einerRandkluft mit einer 2 bis 3 Meter hohen Stufe absetzt.Es ist dieselbe, die uns vor sieben Wochen weiter westlichHalt geboten hatte. Sie ist zwar hier von mehreren Firnwällenüberbrückt, aber auch diese Brücken sind so starkzerfressen, durchlöchert und von Penitentes verbarrikadiert,daß ein Weiterdringen schlechterdings undenkbar ist; es seidenn, man könnte fliegen. So blieb uns nichts anderesübrig, als hier in 6180 Meter Höhe auf die uns noch vomScheitel des Gipfels trennenden 90 Meter zu verzichtenund uns mit dem zu begnügen, was wir in diesen oberstenRegionen an sonderbaren Erscheinungen der Firn- und Eisweltzu sehen und zu untersuchen hatten. Wäre der Firnso beschaffen gewesen wie sieben Wochen vorher, wir hättenvermittelst der Schneebrücken ohne große Schwierigkeit denGipfel erreichen können, denn es war erst wenig über[76]11 Uhr, und wir waren beide noch bei guten Kräften. Fürmeine Firn- und Eisstudien war die jetzige Jahreszeit dieallergünstigste, aber für eine Gipfelbesteigung ist der Augustzu spät, da die Zerstörung der Eisoberflächen durch die Sonnezu weit fortgeschritten ist.
Kaum hatten wir dem Gipfel den Rücken gewandt, alsdie Nebelschwaden, die uns bisher vereinzelt von Osten herabumflattert hatten, in dichten Haufen aus Westen von untenher auf uns eindrangen und uns mit einem so stürmischenSchnee- und Graupelwetter überfielen, daß wir bald keinedrei Schritt weit sehen konnten. Wie die Spürhunde hattenwir die Nase am Boden, um in dem Labyrinth der Penitentesdie Schuh- und Eispickeleindrücke unseres Aufstiegs nicht zuverlieren. So kamen wir gegen 1 Uhr wieder am Westfuß der»Roten Wände« an, und anderthalb Stunden später waren wir,Kleider und Bart noch von Eiskrusten und Eiszapfen überzogen,zurück am Zeltlager bei unseren beiden Kameraden.
Im warmen Schlafsack fühlten wir nicht, daß uns dieNacht bei steifem Ostwind ein Minimum von –9,6° bescherte,die tiefste Temperatur, die wir in Ecuador erlebt haben.An den Innenseiten unseres Zeltes hatte sich am Morgeninfolge unserer Atmung eine fingerdicke Reifschicht angesetzt,die uns durch ihr prächtiges Glitzern und Funkeln viel,durch ihr Auftauen aber wenig Freude machte, und unsereStiefel waren hart gefroren wie Bretter. Draußen stürmtees aus Osten wie nie zuvor. Wäre am Tag vorher solchesWetter gewesen, wir hätten von jedem Besteigungsversuchabstehen müssen. Unter solchen Umständen sieht sich diePoesie des alpinen Lagerlebens anders an als bei heißemTee im warmen Pelzsack. Und so betrüblich uns beiden auchbei dem Gedanken zumute war, daß dies unser letztes[77]Lager in den Anden sei, daß damit die schöne reiche Zeit desRingens und Gewinnens in dieser großen Gebirgswelt vorübersei, so angenehm war uns doch auch die Vorstellung,daß uns nun bald wieder ein anderes Leben blühe als wochenlangephysisch und psychisch aufreibende Arbeit, schlechteErnährung, schlechter Schlaf, immer froststeife Finger, Mangelan Waschwasser, Anfälle von Soroche und dergleichenmehr.
Forschungsreisen im Hochgebirge werden vom Publikumder Laien und vieler Geographen, die dann die Resultatevor sich haben, gemeinhin nicht anders eingeschätzt als Reisenim Mittelgebirge oder im Flachland. Ja, man ist im Publikumleicht geneigt, in der sportlichen Seite, ohne die eskein erfolgreiches Reisen im Hochgebirge geben kann, dasWesentliche bei solchen Reisen zu sehen und das für denZweck zu halten, was nur das Mittel zum Zweck wissenschaftlicherGebirgsforschung ist. Nur wer sich selbst mitErnst der Hochgebirgsforschung gewidmet hat, weiß, einwieviel größerer Einsatz und Aufwand von Kräften undEnergie erforderlich ist, um eine wissenschaftliche Hochgebirgsreiseerfolgreich zu machen, als eine die gleiche Summevon Beobachtungen und neuer Erkenntnis einbringende Reiseim Mittelgebirge oder Flachland. Ich begreife es sehr wohlund finde es entschuldbar, wenn in so vielen Fällen diewissenschaftlichen Resultate von Hochgebirgsreisen in garkeinem Verhältnis stehen zu den darauf verwandten Summenvon Zeit, Kraft und materiellen Mitteln. Eine Forschungsexpeditionin den afrikanischen Steppen und Wäldern,so mühsam sie im einzelnen oft sein mag, ist, wie ich auslanger Erfahrung weiß, meist ein Kinderspiel gegenübereiner die Lösung wissenschaftlicher Probleme erstrebenden[78]Hochgebirgsreise, insbesondere einer Hochgebirgsreise in derTropenzone, wo die Schwierigkeiten in jeder Hinsicht nochviel größer sind als in den allermeisten Hochgebirgen außertropischerGebiete.
Gegen Mittag endlich erschienen unsere Peones im Lager,pfeifend vor Anstrengung und Unbehagen, wie die Hochlandindianerdann immer zu tun pflegen. Schnell waralles Bewegliche zusammengepackt und aufgeladen, woraufdie Kerle, um der ungemütlichen Höhe zu entgehen, einenso ununterbrochenen Dauerlauf bergab über Schnee und Geröllund Felsen ausführten, daß wir, nachdem wir weiterunten die uns entgegenkommenden Maultiere bestiegenhatten, schon um 4 Uhr wieder in der windgeschützten Muldevon Cunucyacu anlangten. Der biedere Mayordomo gabseiner Freude, uns gesund wiederzusehen, dadurch Ausdruck,daß er ein Kalb schlachten ließ; ein unerhörterLuxus, den wir im rinderreichen Ecuador noch nicht erlebthatten. Leider nahm mein von den strapaziösen Hochtourengeschwächter Magen diese Extravaganz übel, und in der Nachtkam zu allem Überfluß noch eine stundenlange Belästigungdurch Soroche hinzu. Auch Herr Reschreiter hatte mit Atembeschwerden,Kopf- und Kreuzschmerzen zu tun.
Über den Soroche, die Bergkrankheit Ecuadors, mögenhier ein paar Worte eingeschaltet werden. Er befällt früher oderspäter jeden, der die Anden aufsucht. Seine Symptome tretenverschieden auf, vom leichten Kopfweh bis zur schweren Störungaller Körper- und Geistesfunktionen, aber zur ernsten Erkrankungoder gar zum Tode wird es beim normalen Menschenkaum kommen. In Höhen von über 5000 Meter freilicherfordert die Überwindung seiner Beschwerden ein beträchtlichesMaß von Energie. Die Atemnot wird besonders bei[79]anstrengendem Aufstieg immer größer, der Kopf immerdumpfer, die Beine werden immer schwerer. Da man stetsmit offenem Munde atmen muß, um den Hunger nach Luftzu stillen, deren Sauerstoffgehalt in 5000 Meter nur etwahalb so groß ist wie in Meereshöhe, so dörrt der Halsin der außerordentlich trockenen Höhenluft total aus, jedeSchluckbewegung schmerzt, und schließlich befällt den Bergsteigerein heftiger, keuchhustenartiger Krampfhusten, dertagelang andauern kann und erst beim Absteigen wieder verschwindet.Nur ein möglichst gleichmäßiges und langsamesAufeinanderfolgen aller Körperbewegungen, möglichstes Vermeidenjedes plötzlichen Ruckes kann da Erleichterungbringen. Aufstiege auf steilem lockern Geröll oder aufHängen von pulverigem Schnee mit dem unvermeidlichenZurückrutschen werden deshalb ganz besonders zur Qual.
Die Mechanisierung aller Bewegungen und die Konzentrationaller Kräfte des Organismus auf die rein körperlicheSteigarbeit üben dabei eine betäubende Wirkung aufdas Bewußtsein aus. Die Benommenheit des Kopfes trübtdie Gedanken oder löst verworrene Vorstellungen aus, dieohne jede Beziehung zum augenblicklichen Tun sind. Einkaum überwindliches Bedürfnis, sich niederzulegen und zuschlafen, stellt sich ein. Es bedarf des Aufwandes der letztenEnergie, um der gemütlichen Depression nicht zu erliegen, denÜberblick über die Situation sich zu wahren und das Ziel festim Auge zu behalten. Im Lager über 5000 Meter leidetman darüber hinaus noch an lästigem Auftreiben des Leibes,an Aufstoßen der Magengase, an Appetitlosigkeit, Darmverstopfungen,Brustbeklemmungen, Herzklopfen und schwerenTräumen während des Schlafs. Erbrechen, Nasenblutenoder gar Bluten aus dem Zahnfleisch und den Lippen,[80]wie es A. von Humboldt berichtet, habe ich dagegen niemalsbeobachtet, weder an mir noch an anderen.
Hauptursache dieser Erscheinungen ist zweifellos die ungenügendeZufuhr des für die Lebenstätigkeit notwendigenSauerstoffs zum Nervensystem und zu den arbeitenden Organen.Sie erzwingt starke Atmungsbewegungen, die durchdie Abnahme des Luftdrucks mit zunehmender Höhe nochweiter erschwert werden, und bewirkt Blutstauungen in denLungen. Übermüdung durch allzu große Anstrengung mag ihrTeil mit beitragen, ist aber nicht ausschlaggebend. Es sindErscheinungen, wie sie ähnlich auch bei Blutarmut zu beobachtensind. Wirksam werden sie vor allem in Funktionsstörungendes Nervensystems mit ihren psychischen Folgen.Nervenanregende Mittel wie Kola und Champagner sollendeshalb gute Wirkung haben, aber ich habe sie nicht ausprobiert.Der beste Schutz gegen den Soroche bleibt jedenfallsder eigene feste Wille, sich nicht unterkriegen zulassen. Planvolle Selbstzucht kann viel dazu tun.

Nach den Mühsalen unserer Chimborazobesteigung hätteich gern einen Tag mehr in der Hacienda Cunucyacu Rastgehalten. Aber zum Ausruhen hatten wir keine Zeit mehr;die Tage bis zur Abfahrt nach Europa waren uns knappzugemessen. Drum ging es schon am übernächsten Morgenwieder früh in den Sattel und bei immer noch stürmendemOstwind auf dem Pfad, den wir schon Anfang Juni gerittenwaren, zum Paß Abraspungo zwischen Chimborazound Carihuairazo hinan. Damals hatte uns der berüchtigteAbras-Paß mit so abscheulichem Wetter traktiert, daß wirvon der uns umgebenden Landschaft sehr wenig zu sehenbekommen hatten. Diesmal sah es anfänglich dort obennicht viel besser aus. Aber als wir die Paßhöhe betraten,lag zu unserer freudigen Überraschung das Abras-Tal mitseiner nächsten Gletscherumgebung ziemlich frei vor uns. Beijedem Schritt fand ich vollauf meine im Juni aus wenigenBeobachtungen gewonnene Mutmaßung bestätigt, daß wiruns hier im Abras-Tal durch ein altes Gletscherbett vongroßartiger Ausbildung bewegten.

Jetzt sahen wir auch auf dem Oberrand der südlichenTalwände die Stirnen dreier vom Nord-Chimborazo herkommender Gletscher liegen. Der westlichere streckt seinehochumwallte Zunge in der Richtung zum Abraspungo hinaus; es ist der »Abraspungo-Gletscher«. Der östlichere, breitereund längere, hat noch vor relativ kurzer Zeit bis in denTaltrog hineingereicht, wie seine Endmoräne zeigt. Diesemächtige, jetzt bei 4400 Meter endende Eiszunge ist aufkeiner Karte zu finden und bisher namenlos. Einer spontanenRegung folgend, rief darum vor diesem EisstromHerr Reschreiter aus: »Von nun an soll er Hans-Meyer-Gletscherheißen!« Bald darauf konnte ich mich revanchieren,indem ich seinen weiter östlichen Nachbar, der ebenfalls nochauf den Karten unbekannt und unbenannt war, »Reschreitergletscher«taufte.
Vom Carihuairazo her, dessen Gletscherzungen hier kaummehr als 5 Kilometer von denen des Chimborazo entferntsind, münden vom Abraspungo an in schneller Folge ebenfallsvier Seitentäler in das Abras-Tal, alle steil zu Eiszungenim Hintergrund ansteigend, mit schroffen Seitenwänden undflachem Boden, der großenteils von Moränen bedeckt ist.Das Abras-Tal war die gemeinsame Sammelrinne aller dieserGletscher des Nordost-Chimborazo und Süd-Carihuairazo undmuß einst von einem gewaltigen Eisstrom erfüllt gewesensein. Auch die untrüglichen Merkmale einer zweimaligen[82]Vergletscherung waren im Abras-Tal zu erkennen, worauf aberhier nicht eingegangen werden soll.
Vom Ausgang der »Abras-Furche« ritten wir über diehügeligen grasigen Ausläufer des Ost-Chimborazo hinab, aufden Tambo Chuquipoquio zu, wo wir mit unserenmüden Tieren zwei Stunden später anlangten. Der Hof warangefüllt von einer Horde angezechter Arrieros, die mit vielenLasttieren und Haufen von Kisten und Säcken nach Quitounterwegs waren und, wie wir, hier nächtigen wollten.Zum letztenmal hantierte ich nun angesichts des Chimborazomit meinen Meßinstrumenten, Herr Reschreiter mit Bleifederund Skizzenbuch, zum letztenmal wurden für dennächsten Tag die Bergstiefel geschmiert, und dann ging eszum letztenmal hinein in den Schlafsack, der so hübsch dichtgegen die Widrigkeiten der Außenwelt abschließt.
Der nächste Vormittag führte uns dann in dreistündigemRitt über die staubige, windige Tuffebene am Südostfuß desChimborazo in das Städtchen Riobamba zurück, von demunsere Hochtouren ausgegangen waren. Die Chimborazoreisewar zu Ende.
[83]
Der Cerro Altar.
Wenn wir aus der zirka 25 Kilometer breiten Hochmuldevon Riobamba (2801 Meter) nach Nordenschauen, haben wir zur Linken die Westkordillere mit demgewaltigen Firndom des Chimborazo, gerade vor uns denbreit hingelagerten, nur zeitweilig schneetragenden VulkankegelIgualata (4452 Meter) und rechts von ihm den Einschnittdes Rio Chambo, durch den das Auge nach Nordostenbis zum trotzigen eisgekrönten Kegel des Tunguragua(5087 Meter) schweift. Also drei mächtige einzelne Vulkanberge,während hinter uns, im Süden, die langen dunkelbraunenTuffrücken von Yaruquiés die Hochmulde absperren.
Ganz anders ist zu unserer Rechten die östliche Begrenzungder Riobamba-Ebene. Nur 5 Kilometer östlich vonder Stadt zieht der Rio Chambo, der auch die Riobambamuldeentwässert, seine tiefe Erosionsfurche nach Norden,und unmittelbar hinter dem Flußlauf, größtenteils sogaraus dem Flußbett heraus, hebt sich die langgezogene, altkristallinischeBergkette der Ostkordillere durchschnittlich1000 Meter über die Ebene empor. Meist ist die Flußgrenzeam Kordillerenfuß so scharf gezogen, daß die linke hohe Uferwandvon den vulkanischen Gesteinen der Riobamba-Ebene,die rechte vom Glimmerschiefer der alten Ostkordillere[84]gebildet wird. Zahlreiche Seitentäler schneiden in diese östlicheGebirgskette hinein, da und dort tragen Gipfel undGrate ewigen Schnee, aber im ganzen ist dieses Stück derOstkordillere eine höchst einförmige Gebirgsbildung, schönund groß nur durch das wunderbare Spiel ihrer Wolken,der Beleuchtung und durch die beiden auf ihr und über ihram Himmel stehenden Erscheinungen: geradeaus im Ostendie Felstürme und Firngrate des Cerro Altar (5404 Meter),und im Südosten die zu noch viel größerer Höhe aufsteigende,immer ihre Gestalt ändernde Eruptionswolke deshinter der Kordillere verborgenen Sangayvulkans. Hier imSangay die lebendige Gegenwart, dort im Altar die toteVergangenheit, die Ruine eines kolossalen Vulkanberges,dessen aufbauende und vernichtende Tätigkeit einst noch vielmachtvoller gewesen sein muß als die des gegenwärtigEcuador am meisten in Angst und Schrecken setzendenSangay.
Auch der Cerro Altar sitzt, wie so viele der ecuatorianischenVulkane, auf der aus kristallinischen Gesteinenerbauten Kordillere obenauf wie ein Reiter auf dem Pferd.Aber er hat die altkristalline Basis nur teilweise zugedeckt,so daß sie auf der interandinen Seite noch meilenweitoffenliegt. Nach seinem Erlöschen ist der Vulkan währenddes Erkaltens durch Sackung seiner dem Krater benachbartenMittelteile, später durch Verwitterung und durchErosion der Gewässer und Gletscher bis auf den Rest derKraterumwallung zerstört worden. Dieser Rest ist aberimmer noch so gigantisch, daß seine Felszacken und Firngipfelin ihrer höchsten Spitze, dem »Obispo«, 5404 Meterhoch zum Himmel ragen und kreisförmig einen über 1000Meter weiten Kessel umschließen, der, mit Schnee und Eis[85]halb angefüllt, einem mächtigen Gletscher Ursprung undNahrung gibt.
Von Riobamba aus sieht man bei klarem Wetter denCerro Altar wie eine breite, hell leuchtende Krone auf demdunklen Scheitel der Ostkordillere ruhen und erkennt zwischenden beiden hohen Hauptzacken der westlichen Front denweiten, tiefen Einschnitt, hinter dem die Eismassen desKraterkessels sichtbar werden. Ein wundervolles Bild, namentlichwenn nach Sturm und Wetter der dunkle Wolkenvorhangsich teilt und der Berg bis auf den Rücken der Ostkordillereherab im blinkenden Neuschnee dasteht. SchlechtesWetter ist freilich dort die Regel, wie auf der ganzen Ostkordillere.Am besten soll noch der Oktober sein, also dieJahreszeit, die für die Westkordillere am ungünstigsten ist.Aber es blieb uns keine Wahl, und deshalb trafen wir esnicht gerade gut mit dem Altar, als wir ihm Anfang Juliunsern Besuch abstatteten.
Der beste Weg von Riobamba zum Altar führt am erstenTag nordöstlich über die Riobamba-Ebene nach dem am RioChambo gelegenen Dorf Penipe, am zweiten Tag von Penipein die Ostkordillere hinein und am Rio Collanes hinauf zurHacienda Releche, und am dritten Tag von Releche steil hinaufin die Páramoregion bis zum Fuß des großen Altar-Kratereinschnittesim obersten Collanes-Tal. (S. Karte S.130.)
Am 1. Juli ritten wir mit dem Mayordomo Santiago, denbeiden auf der Chimborazotour bewährten Arrieros und achtihrer Lasttiere (lauter Mulas) nach Nordosten ab. Nach fünfStunden waren wir in Penipe. Die ganze Landschaft dahin,die östliche Riobamba-Ebene mit ihren Hügeln und Stufenund der Ostfuß des Igualata bis zum Chambofluß ist diegleiche sandige, staubige, windige, dunkelgraue Wüstensteppe[86]wie westwärts zum Chimborazo hin. Es geht auf schattenlosemWeg, auf dem die Tiere bis über die Hufe im Sandversinken, bergauf bergab meist zwischen Hecken von Agavenund graugrünen Kaktussäulen fort. Unter dem Sand liegen,wie am besten an den Wänden einiger vom Igualata kommendertiefeingeschnittener, trockener Wasserrisse, die wirdurchreiten müssen, zu sehen ist, schlackige Lavaströme vereinzelterbenachbarter Eruptionsstellen, zersprengte Lavabänke,grobe Konglomerate, Gerölle und Tuffe in mannigfaltigstemWechsel.
Auf offenen Flächen ist der Sand und Staub zu langenDünenzügen mit gerippelter Oberfläche zusammengeweht, dieoft bis zu 2 Meter hoch werden. Wo aber der Staub angeschützten Stellen zur Rast kommt und von den nächstenRegengüssen festgemacht wird, bildet er einen dichten Löß,der oft vielfältig gebändert ist, allerlei vegetabile und andereEinschlüsse hat, und in mächtigen Schichten von den durchdirekte Ablagerung vulkanischer Aschen entstehenden Tuffschichtenkaum zu unterscheiden ist. In diesen verfestigtenLöß- wie in den Tuffschichten fassen die Pflanzen am erstenwieder festen Fuß. Aber der Machthaber des andinen Klimas,der Wind, läßt ihnen nirgends dauernde Ruhe. Wenn erwieder zugepackt hat, nagt er ein Sand- oder Staubkornnach dem andern los und entblößt allmählich den ganzenWurzelstock der Pflanze, so daß sie vertrocknend abstirbt.
Regellos durch die Landschaft verstreut, meist mittenin ihren Feldern, stehen die Strohhütten der indianischenBauern. Es sind pyramidenförmige Bauten aus den bis10 Meter langen, armdicken Blütenstengeln der Agave, überdie ein hohes, breitfirstiges Dach aus dem langhalmigenSigsiggras (Arundo nitida) bis zum Erdboden herab gelegt[87]ist. Darin gibt es weder Fensteröffnung noch Rauchfang.Vorn ist durch einen Ausschnitt im Dach und einen kurzenvorspringenden Dachansatz eine kleine Vorhalle hergestellt,wo die Türe angebracht ist und am Tag die häuslichenArbeiten verrichtet werden. Der Innenraum ist gewöhnlichdurch eine Zwischenwand geteilt, auf deren einer Seite dieFeuerstelle und Schlafstätte, auf der andern der Wirtschafts-und Vorratsraum, der Aufenthalt der Hunde und Hühnerist. Die Schlafstätte ist nur eine mit Schaffellen belegteSchütte dürren Grases, die Feuerstelle nur ein auf dem Erdbodenliegender, mit ein paar Steinen umstellter Aschenhaufen,das Hausgerät nichts als einige Matten, ein paarunglasierte Töpfe, Kürbisschalen, ein Wasserkrug und eineBank; nichts was einen Schritt über das Maß des Allernotwendigstenund Primitivsten hinausginge; nichts, was auchnur eine Spur von Schmuck und Zier an sich trüge.
Bei der Hütte treiben sich gewöhnlich ein paar schwarzeSchweine oder einige Ziegen umher und fressen, was ihnenvors Maul kommt. Seltner sind schon Schafe und nochseltner Rinder, die hier im eng bemessenen Kulturland nichtfrei umherlaufen dürfen, sondern neben der Hütte fest angepflöcktstehen und gefüttert werden. Einige Hühner fehlenfast nie und ebensowenig ein paar ruppige, windhundartige,kurzhaarige Köter, die jedem Fremden mit wütendem Gebellentgegenstürzen, aber niemals beißen. Sie müssen selbstzusehen, wo sie etwas zu fressen finden, denn gefüttertwerden sie nicht. Sie sind deshalb erbärmlich ausgehungertund stehlen, was sie erwischen können. Ein ekles Gezücht,aber gute Wächter.
Die ganze Menagerie mit Ausnahme der Rinder wirdnachts mit in die Hütte genommen. Und da diese nie[88]gereinigt wird und die darin hausenden Indianer sich ebensowenigwaschen wie ihr Vieh, so wimmelt die dreckige Behausungund ihre Bewohnerschaft dermaßen von Flöhen undLäusen, daß man nach einmaliger Erfahrung lieber draußenin Wind und Wetter bleibt als drinnen am »traulichenHerd«. Solche Prachtexemplare von Flöhen, wie in denIndianerhütten Hochecuadors, habe ich selbst in den deshalbverschrienen italienischen Alpenhütten nicht gesehen. DenWanzen dagegen scheint das Hochlandklima nicht zu bekommen.Ich machte nur ein einziges Mal intime Bekanntschaftmit ihnen. Um so besser gedeihen die Läuse. Überallsieht man Männer, Weiber und Kinder bei der gewohntenBeschäftigung des gegenseitigen Lausens, und wie in vielenanderen Ländern, so knackt auch hier der glückliche Finderdie Tierchen mit den Zähnen tot.
Halbwegs zwischen Riobamba und Penipe durchreitenwir das tiefliegende breite Tal des vom Igualata kommendenRio Guano; ein unpoetischer Name für ein Bergflüßchen,aber dem Äußern nach berechtigt, weil der Flußan seinen Ufern hellgraue Kalksinterbänke abgesetzt hat, wieGuanodecken auf einer Vogelinsel. Der im übrigen zwischenengen, hohen Steilwänden forteilende Fluß erweitert andieser Stelle sein Tal zu einer etwa 400 Meter breitengrüngrasigen Mulde, einer wahren Oase in der Wüste. Jenseitsvon ihr erreichten wir in einer Stunde die Paßhöheam Südostfuß des Igualata und ritten steil auf miserablemWeg in das enge schluchtige Tal des Rio Chambo hinab,während westlich an den schroffen Wänden des Igualatamächtige Mauern von säulenförmig abgesonderten Lavabänkenwie alte Festungsruinen zu uns herunterdrohten. Vonder andern, östlichen Seite des Rio Chambo aber winkten[89]grüne Wiesen und gelbe Felder von den steilen unterenHängen der Ostkordillere herüber, die nun als ein mächtiger,wolkenschwerer Wall sich vor uns ausstreckte, undunter uns auf einer Bodenterrasse am Fuß der Ostkordillereleuchteten über den Fluß her die weißgetünchten Häuschenvon Penipe.
Am Chambofluß gab es für uns einen langen, lästigenAufenthalt. Einige Dutzend Indianer von Penipe warenunter Aufsicht eines Beamten dabei, die uralte Hängebrückeauszubessern, die viele Stunden weit den einzigen Übergang überden Fluß bildet. In derselben Verfassung, in der sich dieseswunderliche Bauwerk heute befindet, hat es bereits Humboldtin seinem Atlas »Vues des Cordilleres« (freilichfälschlicherweise in einer prächtigen Palmenlandschaft) abgebildet.Das beweist, daß das Bauwerk haltbar ist trotz seines bedenklichenAussehens. Es ist der Typus einer ecuatorianischenHängebrücke: zwei armdicke Agavenbastseile sind etwa zweiMeter voneinander von einem Ufer zum andern gezogen. Aufjedem Ufer sind sie durch starke Holzböcke straff gespannt, sodaß sie einige Meter über dem Wasser bleiben. An den Seilenhängen zahlreiche Baststricke, und diese tragen rohbehaueneBohlen, die außerdem noch auf einem Netzwerk von Strickenliegen. Über diesen schwebenden, schwankenden Knüppeldammtraversieren behutsam Menschen und Tiere; ein Fehltrittist gefährlich, denn die dunklen Wasser des Chambo, der hieretwa 20 Meter breit ist, sind tief und reißend.
Steil und auf steinigem Weg geht es auf dem rechtenUfer des Chambo zur Terrasse von Penipe (Kirchplatz 2520Meter) hinauf, das, von zahlreichen künstlichen Wassergräbendurchzogen, zwischen grünen, ummauerten Feldern, Obstgärtenund riesigen dunklen Eukalypten daliegt wie eine kleine[90]Burensiedlung im südafrikanischen Steppenland. Nur siehtes hier viel ärmlicher und schmutziger aus als weiland inSüdafrika.
Wir kamen, da es in dem Nest keine »Casa posada«(Wirtshaus) gibt, in einem wegen seiner Baufälligkeitverlassenen stallartigen Gartenhäuschen eines der Dorfhonoratiorenunter, das wir erst ausmisteten, ehe wir unsereSchlafsäcke auf dem Lehmfußboden ausbreiten konnten. Aberes bot wenigstens Schutz gegen Wind und Regen der Nacht.
Steil, steinig und sandig wie vom Chambotal nachPenipe, so geht es auch am nächsten Tag von Penipe zumBerggrat, der Loma de Nabuso, hinauf, wo in der Tiefeder Rio blanco aus der Ostkordillere in den Chambo einmündet.Es ist ein stellenweise verteufelt heikles Reiten.Wenn hier einmal ein Tier ausgleitet, rollt es rettungslosein paar hundert Meter den jähen, kahlen Berghang hinunterin den reißenden Chambo. Die Maultiere bezwingendas schwierige Terrain in ruhigem, stetigem Klettern, langsamer,aber sicherer als die Pferde, die an schlimmen Stellendem Reiter oder der Last durch heftige Bewegung gefährlichwerden können. Mit jeder weitern Viertelstunde weicht derLandschaftscharakter mehr von dem des vulkanischen Terrainsab, das wir am Tage vorher durchzogen haben. AlleBergformen sind hier schroffer, energischer, die Täler tieferund doch breiter als drüben im Vulkangebiet. Von der Lomade Nabuso (2931 Meter) geht es wieder steil ins Taldes Rio blanco hinunter.
Nach anderthalb Stunden von Penipe aus hatten wirdie Talsohle des Rio blanco erreicht (2610 Meter) undfolgten seinem Lauf aufwärts. Der Bach braust undspringt über Stock und Stein wie ein echter Wildbach[91]irgendeines Tiroler Bergtals, und wie seine TirolerVerwandten so führt auch er hellgrau getrübtes Wasserals Zeichen seiner Abstammung aus vergletscherten, moränenreichenBergeshöhen; daher sein Name Rio blanco,weißer Bach. Die Luft ward frischer, kühler, feuchter, jeweiter wir talauf ritten. Kehle und Lunge schwelgten. Allmählichvollzieht sich auch ein Wechsel in der Vegetation.Die Charakterpflanzen der trockenen, warmen Hochebene, dieAgaven, Opuntien, Euphorbien, verschwinden, und es erscheinenfeuchtigkeitsliebende Formen. Wald aber gibt esauch hier nur in schmalen Strichen und Säumen an dentiefgeschluchteten Bachläufen, die dem Rio blanco von Ostenher zueilen. Leider wimmelt es in diesen feuchten Dickichtenvon Moskitos. Wir waren deshalb froh, als es nach Passierendes Rio Tarau wieder auf grasigen, freien Berglehnenhinauf zu einer Talstufe ging, wo zwischen Mais-,Bohnen- und Kartoffelfeldern ein halb zerfallenes Landhäuschenund einige Hütten stehen: es ist die HaciendaCandelaria (2765 Meter), deren Besitzer uns mit frischerMilch labte – ein seltener Genuß im viehreichen Ecuador!Das Tal erweitert sich weiterhin auffallend; es wird muldenförmigmit ziemlich flachem Boden, in den der Rio blancotief und steil eingeschnitten ist. Hier wird das Land belebter,kultivierter. Es erscheinen Felder und weitzerstreuteHütten.
Die Talform, die Strohhütten, das zahlreiche weidendeVieh, die Kartoffelfelder, die erquickend frische Luft, die klareBeleuchtung und vor allem die Vegetation an den Wegen undRainen versetzten uns in eine subalpine Landschaft Europasoder Nordamerikas. Freudig begrüßten wir unter den Pflanzengute alte Bekannte aus der Heimat: Brombeeren, Berberitzen,[92]Fuchsien, Salbei, Ranunkeln, Alchemillen, Brennesseln,Wegerich, Adlerfarn usw., ja an einer Wiesenecke lachte unssogar ein Büschel wilder blaugelber Stiefmütterchen entgegen.Dann stiegen wir im Zickzack zu einer Talstufe hinauf, wodie vereinzelten Hütten von Releche (Hacienda 3117 Meter)liegen, und betraten oberhalb davon eine Waldparzelle, in dersich plötzlich eine wunderhübsche Wiese öffnete. Danebenblinkten zwei kleine Seen.
Die Waldwiese auf der Terrasse von Releche ist einwirklich idealer Lagerplatz (3323 Meter). Schnell waren amWaldsaum unsere beiden Zeltchen aufgestellt, während sichdie Peones im Dickicht selbst einrichteten. Wieder einmal genossenwir den Reiz eines stillen Gebirgslagers und stillerhäuslicher Enge inmitten einer großen Natur: die Zelte,Feuer, Menschen und Tiere dicht beieinander, Wasser undHolz in bequemer Nähe, während ringsum die große einsameBergwildnis uns teilnahmlos anzuschauen schien.
Gegen Sonnenuntergang legte sich eine wundersameruhige Stimmung auf die Landschaft. Gänzliche Windstilleringsum, aber hoch über den uns schützenden Bergrückensegelten die abendlich geröteten Wolken eilig nach Westen.Wie am Abend eines deutschen Vorfrühlingstags pfiff voneinem fernen Baumwipfel eine Drossel ihr kurzstrophigesLied, andere Drosseln hüpften pickend auf der Wiese umher,und auf dem nächsten See flatterten ein paar kleine Enten.An den Blüten der Fuchsiensträucher aber, die auf den verwettertenBerberitzenbäumen am Waldesrand schmarotzen,schwirrten hurtig einige Kolibris und ließen ihre grünmetallischen Brustfedern und ihre rotschillernden Schwanzfedernim Licht der Abendsonne wahrhaft Funken sprühen.
Nach Sonnenuntergang begann im Wald der schrille Gesang[93]unzähliger Zikaden, und während wir, von leichtemParamitoregen ins Zelt getrieben, lagen, lasen und rauchten,schwirrten um die trüberleuchteten Zeltwände große Käfer,und in ihren brummenden Baß klangen die hohen klarenGlockenstimmchen der Laubfrösche hinein, die uns leider nochviel Regen prophezeiten.
In der Nacht trommelten denn auch stundenlang dieTropfen auf unser Zeltdach, und am Morgen lag alles indichtem nässenden Nebel, als wir mit acht Peones zum CerroAltar aufbrachen. Unsere Arrieros, die wegen der Steilheitmit den Tieren zurückblieben, richteten sich für die nächstenzwei Tage in einer kleinen Laubhütte möglichst regensicherein. Die oberste Bergwaldzone, durch die wir nun weiterstiegen, machte uns viel zu schaffen. Von Schlinggewächsen,grünen Epiphyten, langen grauen Bartflechten und dichtwucherndem Unterholz ist der Wald durchsponnen und gleichsamverfilzt. Bis an die Knöchel versinkt der Fuß in demschwarzen Morast des Pfades, den das oben in den Páramosweidende Vieh beim Auf- und Abtrieb zertrampelt, und übergestürzte Baumstämme weg müssen sich die Peones mitihren Lasten abmühen. Bald wird der Anstieg so steil, daßan Stelle des Pfades Stufen und Löcher treten, in denender Fuß Halt sucht. Alles trieft von Nässe, und auf demschlüpfrigen lehmigen Boden gleitet einer nach dem andernfluchend aus. Trotzdem ließen die Peones ihre Lasten nichtliegen. In 3490 Meter Höhe überschritten wir die obereWaldgrenze. 200 Meter höher hatten wir über dem letztenFuchsiengestrüpp die Grasregion des Páramo bei 3700 Metererreicht, wo der Boden etwas fester war. Aber die Steilheithielt an, und dazu gesellte sich auf der freien Höhekalter Wind mit fortdauerndem Nebeltreiben.
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Bei 4200 Meter Höhe traten wir in die Region der Polsterformationein. Weithin verdrängen an feuchteren, leicht gesenktenStellen die dunkelgrünen, bis zu ½Meter hohenrunden Kissen von Werneria, Pectophytum und Azorelladen Graswuchs fast gänzlich. Die Polster der dichtgedrängtenkleinen Pflanzen sind so fest, daß man mit demeisenspitzigen Stock nur oberflächlich eindringen kann, aberneben ihnen heben sich zahlreiche kniehohe Blütenstengel einergoldgelben Senecio empor, wie freundliche Lichtgestaltenaus schwerer träger Materie. Die Sonne, die sie hervorgezaubert,ließ uns jedoch im Stich. Der Nebel teilte sich zwaretwas, aber der Blick reichte nicht weit: nur braungrasigeKuppen und Berglehnen. Dazu begann es gegen Mittag bei4230 Meter lustig zu schneien.
Jetzt war es an der Zeit, die tiefgesunkenen Lebensgeistermeiner Peones durch eine reichliche Spende von Maisbranntwein(Chicha) zu heben, den ich zu diesem Behuf in gehörigerMenge mitgenommen hatte. Das Zeug schmeckt abscheulich,ist aber den Indianern der höchste der Genüsse. DieKerle folgten denn auch dem großen strohumflochtenenSchnapskrug wie die Sarazenen der Fahne des Propheten.
Glücklicherweise waren wir bald danach auf der Höhe deslanggestreckten, dem Altar vorgelagerten Bergrückens (Lomade Tunguraquilla). In tausendfachen Windungen läuftder Pfad nahe seinem Grat um kleine Sümpfe und Bachrisseherum nach Osten, immer durch struppiges, büscheligesPáramogras, bis er in 4275 Meter Höhe plötzlich steilnach Südosten in ein breites trogförmiges Tal abbiegt, dessentiefgeschluchteten, unpassierbaren Mittellauf wir hier oben aufdiesem Umweg hatten umgehen müssen. Es ist das Val deCollanes.
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In Regen, Wind und Schnee stiegen wir an den abschüssigengrasigen Hängen auf dem von Nässe und Lehmglitschglatten Pfad zur sumpfigen Ebene des Collanes-Taleshinab, ein typisches altes Gletscherbett, das nach Osten in einungeheures, von Schnee und Eis erfülltes Felsen-Amphitheaterübergeht: die Caldera des Altar. Ein wundervolleshochalpines Diorama im Treiben der Nebel. Hier endlich beginntdas vulkanische Gestein des Cerro Altar. Unten scheuchtenwir eine Herde halbwilder Rinder auf, die stürmisch entflohenwie ein Rudel Hirsche. Wir folgten dem festen Geröllsaumdes Baches, dessen grautrübes Wasser die »Gletschermilch«verrät, bis an den Fuß der vordern Calderawand, wo sichoben rechts und links von den Eismassen her zwei alteMoränenwälle in die Talebene vorschieben und an den Endenmiteinander verschmelzen. Dichter, von Moos und Flechtenfast erdrückter niedriger Buschwald hat ihre Blockhaufenüberwuchert, und dort, am untern Rand der südlichenMoräne, wo es Brennholz und Wasser gibt, fand sich baldein geeignetes Plätzchen (3964 Meter) für unsere beidenZelte, während die Peones sich abseits eine Zweig- und Grashüttebauten. Es war ein trüber, nasser, kalter Lagerplatz.Wetter und Weg hatten uns allen tüchtig zugesetzt, neunvolle Stunden waren wir von Releche an auf den Beinengewesen, und es versteht sich, daß wir nach Einnahme unsererüblichen Reissuppe uns schleunigst in die trockenen, weichen,warmen Schlafsäcke verkrochen, mit dankbaren Gefühlen fürdie seligen Opossums, die uns ihren molligen Pelz im Dienstder Wissenschaft geopfert hatten.
Am nächsten Morgen war bei hellerm Wetter dieSituation klarer. Wir sahen uns in einem ungeheuern Taltrog,dessen steile, himmelhohe Felswände sich im Osten[96]zum Kraterzirkus des Altar halbkreisförmig zusammenschließen.Der gletscherbedeckte Calderaboden (Plazabambagenannt) liegt etwa 340 Meter über unserm Lagerplatz, undvon uns hinauf ziehen die beiden hochgewölbten Schutt- undBlockwälle, die uns bekunden, daß die Gletscherzunge, diejetzt dort oben in 4300 Meter Höhe auf einer steilen Felsstufeendet, sich einst bis hierherunter zu 3960 Meter Höheerstreckt hat. In dieser Ausdehnung ist der Gletscher langeZeit stationär gewesen, während deren er diese großen Schuttmassenan seinem Rande absetzen konnte. Als dreißig Jahrevor mir die deutschen Geologen Reiß und Stübel hier weiltenund in wiederholten längeren Besuchen den vulkanischen Baudes Cerro Altar studierten, reichte der Kratergletscher nochin einer imposanten Eiskaskade bis an den Fuß der Felsstufeherab.
Die bezeichneten alten Moränenwälle stellen aber nichtdie äußersten Grenzen der einstigen Gletscherausdehnung dar,sondern der Eisstrom erstreckte sich in einer noch frühernPeriode bedeutend weiter in das Collanes-Tal hinaus. Wennwir oberhalb unseres Lagers vom Kamm der alten südlichenMoräne talabwärts schauen, sehen wir etwa 1½Kilometerweiter draußen an der südlichen grasigen Steilwand des trogförmigenCollanes-Tals bis zu etwa 200 Meter hinauf vierterrassenartige Stufen ziemlich parallel übereinander undparallel dem Talgrund entlang ziehen, die mit großen undkleinen Blöcken besetzt sind und offenbar Abstufungen alterUfermoränen darstellen. Noch weiter draußen, am Ende desTaltrogs, schließt ein mehrfach gestufter, bogenförmigerSchuttwall, eine alte Endmoräne schönster Ausbildung vonungefähr 20 Meter Höhe, das trogförmige, flachsohligeCollanes-Tal querüber ab.

[97]
Bis hierher haben wir also in dem »U-Tal« das vollkommeneBild eines alten Gletscherbettes, in dem der vonden Firnmassen der Caldera genährte Altargletscher vor Jahrtausenden,aber immer noch in einer geologisch jungen Vergangenheit– denn der Altar selbst ist nicht älter als pleistozän– als ein bis 300 Meter dicker und bis 2½Kilometerlanger Eisstrom das Tal erfüllt, ausgeräumt und ausgeschliffenhat. Dann hat er sich, wie die Moränen zeigen, inmehreren Abschmelzungsperioden mit dazwischenliegendenRuhepausen zurückgezogen, zuletzt bis in den Kraterkesseldes Altar, indem er das rezente Rückzugsgebiet mit frischenSchuttdecken überzog.

Aber noch eine weitere Eigentümlichkeit fällt uns vonunserm Aussichtspunkt aus auf. Die Seitenwände des Talssind bis zur Höhe von etwa 300 Meter über dem Talbodenan allen Vorsprüngen und Kanten abgerundet und ausgeglichen.Darüber rücken die Wände in einer schiefen Terrasseoder Leiste etwas zurück, und oberhalb von dieser sind sie inallen ihren Formen eckig und rauh. Der untere Teil derTalmulde mit den abgerundeten Formen ist ganz offenbarein »Tal im Tale«, und die Talleiste am Fuß des obernTalniveaus ist ein »Trogrand«, der Rest eines alten Talbodens,in den der jüngere, tiefere, schmälere Taltrog eingesenktist. Diese und andere glaziale Anzeichen, z. B. dieHängetäler der Seitenbäche, bestätigten meine Vermutung,daß das Collanes-Tal das Erzeugnis einer zweimaligen Vergletscherungist. Näher will ich hier nicht darauf eingehen.

Nach beendeter Umschau über das Collanes-Tal stiegen wirauf der südlichen alten Ufermoräne zum Rand des Kraterbodens(Plazabamba) empor, wo die Gletscherstirn bei 4300Meter liegt. Noch deckte Nebel die Caldera und die sie[98]krönenden Felstürme, als wir uns aufmachten. Der Anstiegwar anfangs bequem durch Geröll, niedriges Gestrüpp undüber grasige Lehnen; aber im letzten Drittel gab es steileFelswände, und erst gegen 9 Uhr waren wir am Oberrandder Felsstufe, über die das Gletscherbächlein ins Collanes-Talhinabrinnt, und betraten frischen Moränenschutt und Eis.Neben uns ragte die südliche Felswand des Caldera-Eingangsvertikal auf, bis über 30 Meter hoch hinauf prachtvoll geschliffenund geschrammt, als hätten viele Tausende schwererLastwagen ihre Radspuren daran zurückgelassen. Auf demhöchsten der schuttbedeckten Eishügel machten wir im Kraterkesselhalt.
Während wir uns zu orientieren suchten, wichen allmählichdie Nebel und gaben den ganzen Kraterzirkus mitAusnahme der höchsten Grate und Spitzen frei. Wir stehen wiein einem ungeheueren Kar mit 1000 Meter hohen Steilwänden,aber dieses Kar hat nicht die uns bekannte Lehnsesselform,die Karwände werden nicht von der Rückenlehnenach den Seitenlehnen hin niedriger, sondern gerade amEingang türmen sich rechts und links die beiden Hauptgipfelempor, der »Canonico« auf der Nordseite, der »Obispo« aufder Südseite, die mit 5355 Meter und 5405 Meter Höhe alleanderen Teile der Zirkuswände weit überragen. In der Rundesenken sich von den Felswänden große Firn- und Eismassenzum Zirkusboden hinab, ein im Durchmesser über 1000 Meterweites Eis- und Schuttfeld. Fünf niedrige, runde Felsbuckelgliedern dieses Eisfeld in sechs primäre, kleine Gletscher, diezur tiefer gelegenen Mitte sich vereinen und nun als ein einzigerEisstrom zum Ausgang des Kessels fließen, der amEnde unter seinem Moränenschutt ganz verschwindet.
Ein auffallender schneebedeckter, etwa 200 Meter hoher[99]Felskegel, der sich im Kraterzirkus dem Fuß des »Canonico«anlehnt, scheint ein Eruptionskegel in der Caldera zu sein, durchden sich die letzten vulkanischen Zuckungen des Berges Luftgemacht haben. Wie in einem Flußbett nach Ablauf desHochwassers ein langes Band von allerlei Rückständen,Schlamm, Sand, Holzstücke usw., am Uferhang liegenbleibt,bis sie vom Regen abgespült werden, so liegen hier, als Flutmarkendes einstigen Gletscherhochstandes, allenthalben Moränenschuttbänderbis 100 Meter hoch über der jetzigenGletscheroberfläche an den felsigen Berglehnen. Rück- undNiedergang des Eises, wohin man blickt!
Die Sonne brannte in der windstillen Caldera nachgeradeso kräftig auf uns herab, daß wir trotz der 4344Meter Höhe die Röcke auszogen und unseren Arbeitenhemdsärmelig oblagen. Nach Mittag schien die ganze Umgebungin langsame Bewegung geraten zu wollen; überallrieselten dünne Schmelzwässer und knisterte und prasselteder ausgeschmolzene Sand und Geröllschutt, überall gab nundie Moränendecke rutschend nach, wenn man sich auf ihrbewegte. Und als wir um ½3Uhr zur Rückkehr nach denZelten aufbrachen, hatte sich das Gletscherbächlein, das amMorgen nur dünn geflossen war, in einen stattlichen Bachverwandelt, der sich aus dem niedrigen Gletschertor durchalle die Schuttmassen Bahn brach und unmittelbar danachals brausender Wasserfall in das Collanes-Tal hinabstürzte.
Am späten Nachmittag wurde es auch in den höchstenRegionen des Altar klarer und lichter, und schließlich standder ganze riesige Berg im goldenen Licht der Abendsonne voruns. Die beiden vordersten Ecktürme, der Obispo und derCanonico, ähneln in ihrer trotzigen Gestalt und wilden Schönheitdem Eiger und dem Matterhorn. Über 1000 Meter[100]starren ihre jähen, nur wenig Firn festhaltenden innerenWände über dem Calderaboden empor, während die äußerenin zahllosen Steilstufen abfallen und in mehreren Karenkleine Hängegletscher tragen, die in den herrlichsten Blaubändernleuchten. Die schönste Firnkuppel des Altar istaber die hinter dem Obispo mitten auf der südlichen Zirkuswandaufgetürmte »Monja grande« (große Nonne). Manbegreift schlechterdings nicht, wie sich die mächtige Firnkappeauf dem steilen Felsturm halten kann.
Auf der Hinterwand des Zirkus thront gerade gegenüberdem breiten Eingangstor ein kolossaler, dreizackiger Felsklotz(5294 Meter), der den Namen »Tabernaculo« erhalten hat.Er liegt auf dem Altar wie ein Tabernakel zwischen zweiriesigen Kerzenträgern, was wohl die Herren Reiß undStübel zu dieser Namengebung veranlaßt haben mag; denndie hübschen Namen Canonico, Obispo, Monja, Tabernaculousw. für die einzelnen Gipfel sind keine landesüblichen,sondern von Reiß und Stübel verliehene, da es keine einheimischengibt. Auch auf dem Tabernaculo und auf vielenZinnen der nördlichen Zirkuswände lagern mächtige Firnmassenin hoher Wölbung und mit weit überstehenden Wächten,die der ständige Ostpassat herübergebogen hat.
Daß der Altar so, wie er heute dasteht, nichts Ursprünglichesist, sondern nur die Ruine eines noch größern Berggebildes,haben selbst die Eingeborenen mit ihrer geringenBeobachtungsgabe gesehen und gedeutet. Ich habe von BewohnernRiobambas oft die Meinung gehört, der Berg seifrüher noch höher gewesen als der Chimborazo, sei aber voreinigen Jahrhunderten durch Erdbeben zum Einsturz gebrachtworden. Sie haben wohl darin, daß der Berg einsthöher gewesen und dann zerstört worden sei, das Richtige[101]getroffen, aber die Zeit haben diese kurzlebigen, kurzdenkendenMenschen erklärlicherweise viel zu kurz bemessen. Was können siewissen, was geologische Zeiträume bedeuten! Der Legende, daßder Berg gegen Ende des 15. Jahrhunderts in sich zusammengesunkensei, ist übrigens auch kein Geringerer als A. vonHumboldt zum Opfer gefallen. Er berichtet von einem altenindianischen Manuskript, das diese Katastrophe beschriebenhabe, aber der deutsche Reisende Moriz Wagner hat späternachgewiesen, daß Humboldt sich »eine Lüge hat aufbindenlassen«.
Naturgewalten haben allerdings den Berg zu der heutigenRuine gemacht, aber diese Zerstörung hat sich allmählichin riesigen Zeiträumen vollzogen. Sein kolossaler Kraterzirkus,seine Caldera, ist in seiner Anlage ein Werk vulkanischerKräfte; er ist dadurch entstanden, daß mit dem Erlöschender Eruptionen ein großer Teil der Magmamassen in denweiten Eruptionsschlot zurücksank, weil die Kraft fehlte, sieüber den Kraterrand hinauszuheben. Es ist der Vorgang der»Sackung«, wie er an so vielen Vulkanen gerade der HochandenEcuadors zu beobachten ist. Den so entstandenenKraterzirkus haben aber dann in unablässiger, jahrtausendelangerArbeit Wind und Wetter, vor allem das Eis ausgeweitet,sie haben die steilen Felswände geschaffen, die ihnjetzt umgeben, sie haben, von innen und von außen angreifend,die hohen Zinnen und die schmalen Grate geschliffen,die ihn jetzt bekrönen. Die Ruine des Altar ist ihr Werk.
Als am Abend die gelben, violetten und rosaroten Töneauf Fels und Firn verblaßten, wurde es sehr schnell kühl(6 Uhr +3°). Aus den nahen Sümpfen des Collanes-Taleserklang vielstimmiges, melancholisches Unkenkonzert, und balddrangen von dort Scharen kleiner Stechmücken zu uns herüber,[102]vor deren Angriffen wir uns in unsere dichtschließenden Zelteund Schlafsäcke zurückzogen. Als ich in der Nacht, durch denDonner einer Lawine geweckt, nach dem Wetter sah, lag diestille große Landschaft in zauberhaftem Mondlicht, und geradevor uns im Einschnitt des hochwandigen Collanes-Talsfunkelte der Jupiter so blendend und riesengroß am wolkenlosenNachthimmel, daß ich zuerst ein Meteor zu erblickenglaubte. Wer den Sternenhimmel in seiner ganzen Prachtsehen will, muß in große Bergeshöhen der Äquatorialzonegehen.
Als wir mit steigender Sonne dem Altar Lebewohlsagten und den Rückweg nach Releche antraten, hatteder Gletscherbach im Collanes-Tal noch eine dünne Eisdecke.Wir folgten dem Pfad, auf dem wir hergekommen, undals wir, aus dem Tal auf den Nordhang heraussteigend, dieersten Kuppen umkreisten, kam plötzlich die Nordwestfront desCanonico in Sicht, die uns auf dem Herweg im Nebel verborgengeblieben war. Wie da die prachtvolle Pyramide sichaus den Wolken aufbäumte, entrang sich uns beiden einlautes jubelndes Hurra! Auf ihren riesigen schroffen Südwändenhalten sich keine größeren Firnlager, aber auf deruns voll zugewandten Nordwestfassade steigen Firn undEis in unzähligen Stufen und Brüchen über die Felswändezum schuttbedeckten Sockel herab, wo das Eis in zweikleinen Gletschern ausläuft.
Beim Aufstieg zur Loma de Tunguraquilla konnte ichwieder einmal die Leistungsfähigkeit der Peones bewundern.Mit ihren 40 bis 60 Pfund schweren Lasten auf dem Rückenstürmten diese Burschen eine Stunde lang ohne Rast densteilen, grasigen Berg hinauf in einem Tempo, daß unsbeiden nur mit Eispickel und Rucksack beschwerten Europäern[103]der Atem ausging und das Herz zu springen drohte.Oben angelangt, vergossen die Leute zwar Ströme vonSchweiß, waren aber sonst nicht im mindesten von der Anstrengungermattet; sie haben Herzen wie eiserne Pumpen.
Diesmal war unser Marsch über diese Páramohöhensonnig, warm und aussichtsreich. Ein frischer Wind fauchteim hohen Sigsiggras, wie in einem heimatlichen Fichtengehölz,kleine Hasen huschten blitzschnell durch die Grasbüschel,und ein auf Rücken und Seiten blaugrau, an Kehleund Bauch rotbraun gezeichneter Fuchs jagte über die Hänge.Links, am fernen Horizont, dehnen sich zwei parallele lichtgraueBänder in unabsehbare Weite: die Westkordillere,deren Einzelheiten auf diese Entfernung schwinden und nureine unendlich lange gleichförmige, horizontale Mauer übriglassen;und über ihr in geringem Abstand, ebenso gleichförmig,ebenso lang, ebenso horizontal, die Schichten der alltäglichenMittagswolken. Aber über die endlose Wolkenbankhinaus ragt als einzige und höchste Landmarke der Gipfel desChimborazo mit seiner silberblanken Firnkuppel.
Um ½3Uhr kam tief unter uns die Mulde von Relechemit den blaugrünen Seenaugen und der blauen Rauchsäuledes Lagerfeuers unserer Arrieros in Sicht. Um 4 Uhrwaren wir unten und verabschiedeten mit einer reichlichenLibation Feuerwasser und einer klingenden Extrazulage unsereunermüdlichen Peones, die am selben Nachmittag und Abendnoch bis nach Penipe hinabliefen. Wir selbst folgten amnächsten Tag nach einer ruhevollen Lagernacht. Um Mittagwaren wir wieder in Penipe, und nach kurzer Mittagspausefür Mensch und Tier eilten wir weiter nach Riobamba.
[104]
Der Antisana.
1. Der Anmarsch.
Südlich von Quito, eine halbe Stunde von der Stadtgrenzeentfernt, steht auf der Fußebene des Pichinchaeine kleine, 200 Meter hohe Vulkankuppe von auffallendregelmäßiger Gestalt: Panecillo, das Zuckerhütchen, nennendie Einheimischen den Hügel. Seine freie, dominierende Lage(3050 Meter) macht ihn zu einem Aussichtspunkt erstenRanges. Der droben Stehende sieht sich von einem mächtigenBergkranz umgeben. Im Rücken hat er den breiten, vontiefen Quebradas zerschluchteten Pichincha, an den sich nachSüden und Norden in langer Linie die Vulkanberge der Westkordillereanreihen, fast lauter Viereinhalbtausender und nochhöhere, und nach Osten schweift der Blick über die weite,nach Süden und Osten ansteigende Mulde des Rio San Pedround seiner Nebenflüsse weg auf die lange Bergmauer derOstkordillere, die hier nicht so viele einzelne große Vulkangipfelträgt wie die Westkordillere und geschlossener, finsterer,unzugänglicher erscheint als jene.
Auf keiner Seite hat der Beschauer Schneeberge in seinerNähe. »Ewige Schneehäupter« tauchen erst in weiter Entfernungvon Quito auf. Im großen, von breiten Lückenunterbrochenen Halbkreis umziehen sie im Süden und Ostendas Panorama des Panecillo; es sind von Süden her der[105]doppelzackige Iliniza (5305 Meter), dann der Riesenkegeldes Cotopaxi (6005 Meter), daneben der kleinere Sincholagua(4988 Meter), weiter östlich die große Stumpfpyramidedes Antisana (5756 Meter), darauf der niedrigere, aber starkvergletscherte Sara-urcu (4725 Meter) und zuletzt der demChimborazo ähnelnde mehrgipfelige, von Eisströmen übergosseneCayambe (5840 Meter).
In dem großen Halbkreis dieser ragenden Schneehäupterimponierten mir der Antisana und der Cayambe ammeisten, und der Antisana zog mich vermöge seiner herrlichenGestalt und seiner starken Vergletscherung mit magischerGewalt an.
Für eine Besteigung und Untersuchung des Antisana gibtes nur ein geeignetes Standquartier am Fuß des Berges, denHato Antisana an der Westsüdwestseite. Die Reise dorthinvon Quito läßt sich in zwei Tagen über den Rio San Pedround die Orte San Rafael, Pintac, Hacienda Pinanturaund den Paß Puerta de Guamani machen. Am 26. Julifrüh brach ich mit Herrn Reschreiter und meiner alten Karawanevon drei Einheimischen und zehn Mulas nach Ostenauf. Zuerst führte die Straße, die theoretisch auch zumFahren bestimmt ist, steil zum Bergrücken Poingasi hinan.
Droben öffnet sich plötzlich vor uns das Land zu unserenFüßen. Das Auge schweift freudig über die sonnige, weiteQuitomulde mit ihren unzähligen Hügeln und grünen Feldern,Haciendas und Dörfern, Baumgruppen und Bachschluchten.Ein ungewohntes Kulturlandschaftsbild im ecuatorianischenHochland.
Auf einem fürchterlich gepflasterten Serpentinenweg gehtes dann zum Rio San Pedro hinunter. Die Mulas rutschenund stolpern; wer hier stürzt, bricht unfehlbar das Genick.[106]Aber wäre der Weg nicht gepflastert, so wäre er an demsteilen Berghang in der Regenzeit monatelang überhauptnicht passierbar. Das läßt man sich wohl in der »Provinz«gefallen, aber nicht hier in der Nähe der Hauptstadt, derenreiche Leute ihre Haciendas draußen in der Quitomuldehaben und jederzeit mit ihnen verkehren wollen.
Eine alte Steinbrücke führt uns unten über die tiefe,kaum 10 Meter breite Quebrada eines Nebenflusses des RioSan Pedro, in deren Grund die tuffbraunen Fluten gurgeln.Lotrecht und glatt wie mit dem Spaten sind die Wände desCañons in den Tuff eingeschnitten, und diese Tuffmassen,diese klammartigen Erosionsschluchten treffen wir fernerhinüberall in der Quitomulde, wo wir Bäche zu passierenhaben. Jenseits des Dorfes Conocoto (2594 Meter) überschrittenwir auf einer neuen Eisenbrücke die schäumendenWasser des stattlichen, 20 Meter breiten Rio San Pedround kamen durch Staub und Glut nach Mittag im StädtchenSangolqui (2561 Meter) an, wo uns die übliche Staffageder ecuatorianischen Provinzstädtchen umgab: baufällige,wegen der Erdbeben nur einstöckige Häuser; Schmutz,Schweine und Hühner auf den Straßen, wenige und lumpigeMenschen.
Ganz allmählich hebt sich unser Terrain ostwärts. ZurLinken haben wir den frei in der Talebene stehenden, starkabgestumpften Vulkankegel Ilaló (3161 Meter), weiter zurRechten erheben sich die breiten Sockel des Pasochoa(4255 Meter) und des Sincholagua (4988 Meter). In derLücke zwischen beiden erscheint aber in der Ferne der WunderbergCotopaxi mit seinem ungeheuern, schnurgerade nachOsten hinausflatternden Wolkenschleier. Auf seiner wolkenfreienNordwestflanke glitzern drei Gletscher im Sonnenlicht.
[107]
Die Sonne stand schon tief zwischen dem Pichincha unddem Atacatzo, als wir in das kleine Kirchdorf Pintac(2925 Meter) einzogen. Da aber das Nest bitterwenig einladendaussah, ritten wir ohne Aufenthalt nach der HaciendaPinantura weiter, die nur eine kleine Stunde entfernt seinsollte. Erst ging es auf langgestreckten, buschbewachsenenHöhenrücken entlang, in deren graugelbe Tuffmassen derReitpfad durch langjährige Benutzung oft mehrere Metertief eingeschnitten war. Darauf wurde die Landschaft mehrund mehr páramoartig. Schon schlichen nächtliche Schattenaus den Niederungen an den Bergen empor. Plötzlich standenwir am scharfen Rand einer düstern Talschlucht, der QuebradaGuapál, die in der Dämmerung nur noch tiefer erschien,und sahen im Abendschein am jenseitigen Rand dieHütten der Hacienda Pinantura. Da hinabzureiten wärein der Dunkelheit für einen Ortsunkundigen Selbstmord; nurunser Führer riskierte es. Wir andern tappten und rutschtenzu Fuß auf dem steinigen, tiefgefurchten, buschbewachsnen Pfadhinter ihm her, unsere Tiere am Zügel nachziehend. Es warstockfinstere Nacht geworden, und der dünne Schimmer derMondsichel drang nur mit vereinzelten Blinklichtern ins Dickicht.Alle paar Minuten lag einer von uns am Boden und machteseinem Zorn und Schmerz durch einen kräftigen Fluch Luft.Wer das letztere noch nicht gekonnt hat, der lernt es inEcuador. Endlich brausten unter uns die Wasser im Talgrund.Ohne eine Spur davon im Dickicht zu sehen undohne zu ahnen, wohin es ging, kletterte ich in der Finsternisauf meine herangezogene, widerstrebende Mula und ließ siegottbefohlen ihren Weg im Dunkeln suchen. Sie folgte, vorsichtigtastend und laut schnaubend, dem Tier des Führers,aber langsam landete mich das brave Tier am andern Ufer[108]ohne Sturzbad. So ging es dicht hintereinander durch vierreißende Bacharme. Beim vierten half schon das einfallendeMondlicht mit, und allmählich näherten wir uns dem jenseitigenOberrande der Quebrada, wo die Hütten der HaciendaPinantura (3174 Meter) vor uns auftauchten.Ein altes Weib öffnete auf des Führers Zuruf das verrammelteTor. Wir nahmen vom sogenannten Zimmer des MayordomoBesitz, wo neben Haufen von Kartoffeln und Mais ein zerbrochenerTisch und ein Möbel standen, das einst vermutlichein Sofa gewesen war, und in der Ecke sogar eine ArtBettstelle mit Strohsack. Alles klebte von Schmutz; dieaus Lehm zusammengepatzte Stubendecke war, wie gewöhnlich,halb heruntergefallen, und natürlich war es hundekalt,da ebenso natürlich kein Ofen vorhanden war. Aberunsere Schlafsäcke halfen uns über alle Widrigkeiten hinweg.
Vor Sonnenaufgang des nächsten Morgens trat ich vordie Haciendamauer an den Rand der düstern QuebradaGuapál. Darüber hinweg weitet sich eine wundervolle Aussichtnach Westen über die große, langsam westwärts sichsenkende Ebene der Quitomulde bis zum fernen dunstigenPichincha, der langgestreckt und mit sanften Hängen dasPanorama im Westen abschließt. Seine breiten Gipfel hebensich nur wenig über die flache Wölbung des schildförmigenMassivs, der höhere Südgipfel (Guagua-Pichincha 4787Meter) mit ein wenig Schnee, aber ohne die leiseste Spureines Kraterwölkchens.
Nach Osten schweifte der Blick über die leicht ansteigendeEbene bis zum breitbuckeligen, felsigen Sincholagua, dessenkleiner Gipfelgletscher im Morgenlicht rosig schimmerte, undsüdwestlich hinter seinen langen dunklen Ausläufern leuchteteaus der Ferne die oberste Firnkuppe des Cotopaxi herüber,[109]der eine zarte orangerote Dampfwolke entflatterte wie einefeingetönte Straußenfeder.
Die schnell aufsteigende Sonne mahnte zum Aufbruch.Mit nur fünf Peones im Gefolge, die am Antisana unserGepäck von den Maultieren übernehmen sollten, ritten wirlos. Der Pfad führt langsam an der steilen Innenwand derQuebrada bergan. Unsere ganze Aufmerksamkeit war abernun von einem auf der Talsohle liegenden Lavastrom, demVolcan de Antisanilla, gefesselt, dem größten LavastromEcuadors.
Sein Ende liegt bei 3045 Meter im Talgrund, und bisdahin zieht der »Volcan« (Lavastrom) wie ein riesiger Dammoder wie ein hochgewölbter Gletscher in der Quebrada entlang.Im Endteil hat er noch eine Mächtigkeit von etwa130 Meter bei etwa 200 Meter Breite. Seine Oberflächeerreicht aber nirgends ganz das Niveau der oberen Talränder.Oft ist er in der Mitte seiner Laufrichtung eingesunkenund rechts und links von großen Längskämmenüberragt. Man sieht dem Volcan überall die allmählicheErstarrung in langsamer Bewegung an. Er ist dick mitTrümmern bedeckt, so daß man das Ganze leicht für bloßeSchuttmassen halten kann.
Hell hebt sich bei Sonnenlicht der graubraune Lavastromvon den grünen baum- und buschbewachsenen Talwänden derQuebrada Guapál ab. Seine Oberfläche hat aber doch trotzseiner Jugend schon einen grünlichen Anflug, stellenweisesogar einen Überzug von Vegetation. Es sind Flechten, kleineGräser, Farne, Steinbrechstauden und niedriges Gestrüpp,die sich auf seinen harten Blöcken, Schlacken und Sandenangesiedelt haben. Für die Dauer dieses stillen, aber hartenKampfes der Pflanzen um neuen Boden haben wir gerade[110]im Lavastrom von Antisanilla einen guten Maßstab an seinemziemlich genau festzustellenden Alter. Wie Theodor Wolfnachgewiesen hat, war der Lavastrom 1767 schon vorhanden,und da Humboldt eine Eruption des Antisana aus dem Anfangdes 18. Jahrhunderts, »wahrscheinlich von 1728«, erwähnt,aber von weiteren Ausbrüchen nichts berichtet wird,so kann man mit ziemlich großer Sicherheit das jetzige Alterdes Volcan auf 1¾Jahrhunderte berechnen.
Nach kurzem Ritt schwenkten wir aus der QuebradaGuapál südwärts ab und kamen draußen auf dem Plateauwieder in eine Zone von bösartigen Tuffen, in die sich dieReitwege noch tiefer eingeschnitten haben als in die Tuffezwischen Pintac und Pinantura. Steil geht es dann übergrasige Páramohügel hinauf, wo die höchsten kleinen Gerstenfelderder ganzen Gegend bei 3380 Meter liegen, und endlichdurch ein primitives, das Vieh abhaltendes Holzgatter, diePuerta de Guamani (3544 Meter). Hier stehen wir plötzlichwieder am Rand der Quebrada Guapál und haben darin vonneuem den Lavastrom von Antisanilla vor uns, und zwar inseiner großartigsten Mittelpartie. Hier wälzt er sich auf deruns gegenüberliegenden nördlichen Talseite, unsichtbar woher,einem versteinerten Katarakte gleich, über den Rand der Quebradaund über die hohe Talwand hinab in den Talgrund.
Breit und mächtig wie der Niagarafall kommt er überden Talrand herunter. Es muß ein Schauspiel sondergleichengewesen sein, als hier seine Schlacken und Blockmassen infurchtbarem, unaufhörlichem Drängen und Schieben, getriebenvon der unsichtbaren Gewalt des glühenden Magmainnern,mit Knirschen, Krachen und Donnern in die Tiefedes Tals stürzten, wo der wütende Kampf mit den Bachwassernbegann, und als dann im Tal die ungeheure höllische[111]Schlange dampfend und lärmend, träge, aber unaufhaltsamweiterkroch.
Die Sonne hatte es den ganzen Vormittag gut mit unsgemeint. Dann hatten verdächtige lange Cirrusstreifen immerdichter den Zenit umschleiert, und nun begann es, je weiterwir auf die offenen Páramos hinaufkamen, immer steiferaus Osten vom Antisana her zu blasen. Dort hing dickesGewölk tief herunter und gönnte uns keinen einzigen Blickauf den nahen Schneeriesen. Bei 4000 Meter rasteten wirin einer flachen Mulde inmitten einer wunderbaren Floravon kniehohen Culcitien, die hier zu Hunderten ihre hellgrauenpelzumhüllten, von faustgroßen grauen Blütenköpfenbeschwerten Gestalten zwischen dem dunklen Grün der Werneriapolsteremporstreckten.
Jenseits der Culcitienmulde erschien endlich vor uns imwehenden Nebel die längliche strohgedeckte Steinhütte desHato del Antisana (4095 Meter), die wir um die Mittedes Nachmittags erreichten. Nachdem die Hacienda, die früherhier gestanden hatte, in den neunziger Jahren abgebranntwar, benutzt man jetzt die daneben in einer windgeschütztenBodensenke gelegene Hütte als Hato. Er ist mit 4095 Metereine der höchstgelegenen menschlichen Wohnungen Ecuadors.Als Bewohner fanden wir drei indianische Hirten vor, dieden mittlern Raum für uns freigaben. Es sind nur vierrohe Steinmauern mit dem Grasdach darüber, ohne Fensteröffnungenund ohne Rauchabzug. Hier machten wir Standquartierfür unsere Antisanatour.
Zwischen uns und dem Berg zieht welliges Páramogelände,eine grünlichbraune Hochsteppe, leicht hinan, durchwundenvom rötlichgrauen Band eines mächtigen jungenLavastroms, des Guagraialina-Volcans. An der Stelle, wo[112]dieser am westlichen Bergeshang hervorkommt, legt sich umdie uns zugekehrte südwestliche und westliche Bergseitezwischen 4500 und 4800 Meter Höhe ein breiter Gürtel vonhellgrauem frischen Moränenschutt, und darüber strebt dasschneeige Bergmassiv des Antisana zu zwei runden Gipfeldomenhimmelan; rechts der steilere, von schroffen Felswändengetragene Südgipfel (5620 Meter), links der höhere, breitereNordwestgipfel (5756 Meter), dazwischen ein etwas niedrigererzackiger Sattel mit dem kleinen, spitzen Westgipfel;alles überzogen von einem ungeheuern Firn- und Eismantel,der, in den oberen Bergpartien wild zerrissen, in den unterensanft ausgeglichen, bis zur Moränenzone bei 4800 Meterherabwallt.
Den ersten vergeblichen Versuch, den Antisana zu besteigen,hat Alexander von Humboldt 1802 gemacht. Nachihm ist Alphons Stübel am 25. September 1871 bis zu5493 Meter Höhe gelangt. Bezwungen worden aber ist auchdieser Berg bisher nur durch Edward Whymper am 10. März1881. Wir haben vom 28. bis 30. Juli 1903 an und aufdem Eis des Antisana gearbeitet und die Westseite bis überStübels höchsten Punkt auf dem Mittelgrat bestiegen.
2. Die Besteigung.
(Siehe Karte, Seite 130.)
Wir hatten in aller Klarheit auf dem offen vor unsausgebreiteten Bergpanorama die Richtung ausfindig gemacht,in der ein Vordringen in die höchsten Regionenmöglich erschien, und wollten oben von der Ursprungsstelledes Guagraialina-Lavastroms, der hier unten am Hatodel Antisana endet, über die Firnfelder hinauf zum Sattelzwischen den beiden Gipfeln aufsteigen, um dann eventuell[113]nordwärts dem Hauptdom zuzustreben. Das war im allgemeinenauch Stübels und Whympers Route.

In der Frühe des 28. Juli lag um unsern Hato dickerReif bei 2° Kälte, und die Luft war unsichtig von Nebel.Als aber um 7 Uhr die Sonne über den Eiskamm des Antisanaherüberblitzte, brachen wir auf und ritten an der Westseitedes Lavastroms entlang über ebene Páramoflächenbergan. Der Pfad war gut, das Wetter schön, der Windnoch linde. Der Antisana hatte eine prachtvoll kuppelförmige,weiße Wolkenhaube über seine beiden Gipfel gestülpt, die ihnals einen einzigen ungeheuern Schneedom erscheinen ließ.Vom Rand der Haube flossen fortwährend kleine Wolkenzügenach der Westseite herab und verflatterten schnell; dasnämliche schöne, aber nichts Gutes versprechende Spiel, wiewir es am obern Chimborazo erst angestaunt und dannschmerzlich zu fühlen bekommen hatten.

Zu unserer Rechten zog der Guagraialina-Volcanhochgewölbt und blockig einher. Nach einer Stunde kletterteunser Pfad an einer günstigen, sattelartigen Stelle überden Lavawall weg. Und da lohnte es sich wahrlich, eine kurzeUmschau über dieses merkwürdige Gebilde der jüngsten vulkanischenTätigkeit des Antisanakegels zu halten. Wie einedunkelbraune, grüngefleckte Riesenschlange windet sich der Lavastromvon der mittlern Westseite des Antisana auf den leichtabfallenden unteren Berghängen herab. Wir sehen ihn oben(bei 4700 Meter) unter den Moränenhalden der Eisgrenzehervorkommen. Er ähnelt im Aussehen und in der Gestaltsehr dem Antisanilla-Volcan, aber er ist weder so lang nochso hoch noch so breit wie jener; seine Länge mißt etwafünf Kilometer, seine Höhe in den mächtigsten Teilen 40 bis50 Meter, seine Breite bis zu 500 Meter. Auch dieser[114]Volcan erscheint wulstförmig, dammartig, hat steile Seitenböschungenund eine unregelmäßig hügelige Oberfläche. In derMittelachse seiner ganzen Längserstreckung ist er mehr oderweniger eingesunken, so daß er eine breite Rinne mit höherenSeitendämmen bildet. Die Entstehung ist klar: Währenddie Seitenteile des Lavastroms schnell erkaltet und erstarrtsind, ist die glühende Lava zwischen ihnen weitergeflossen.Allmählich erstarrte auch die ganze Oberfläche, und die Lavafloß, immer zäher und träger werdend, wie in einem Tunnelweiter. Als dann der Inhalt des Tunnels ausgeflossen war,sank die Oberfläche des Tunnels ein.

Der Guagraialina-Volcan ist aber nicht der einzige seinerArt am Antisana. Von seinem Rücken aus sehen wir amSüdwesthang des Berges, nahe der Eisgrenze, ebenfalls unterdem hellgrauen Kranz von jungen Moränen einen zweiten,kürzern, aber im Endteil breitern Volcan herauskommen,der dem unsern in seiner ganzen Erscheinung gleicht. SeinenNamen Sarahuazi (Maisberg) führt er von den vielen gelblichenBimssteinbröckchen, die an seinem obern Ende(4715 Meter) aufgeschichtet liegen.
Schließlich trifft nördlich von uns unser suchendesAuge auf einen dritten Lavastrom, den Yana-Volcan(yana = schwarz oder dunkelbraun), den höchstragenden vonallen, der wie eine schwarze zackige, 50 bis 60 Meter hoheMauer aus der Eisdecke des Antisana bei 5050 Meter heraustrittund das weiße Firnfeld durchschneidet, aber nahe unterder Eisgrenze mit etwa 300 Meter Breite endet. Er siehtnoch frischer aus als der Guagraialina und hat noch mehr alsdieser eine ausgeprägte Rinnenform.
Vom Ostfuß des Guagraialina eilten wir in einem breitenBachtal dem Westgletscher des Antisana entgegen, der oben[115]in das Tal mündet. Links von der Gletscherzunge wurde aufden obersten Felsen des Guagraialina-Volcan unser in Aussichtgenommener Lagerplatz sichtbar. Dorthin hatten wir einealte grasbewachsene Ufermoräne des einst so viel längernGletschers zu erklettern, die mit schönen Aufschlüssen biszu etwa 4200 Meter Höhe herabreicht. Um ½11Uhr warenwir nach längerm Stolpern und Steigen über Schlackenund Sande mit unseren Tieren auf dem obersten kleinenGrasfleck angelangt, wo im Schutz einiger großer Lavablöckedie Zeltchen aufgeschlagen wurden (4695Meter). Ich schickte die Karawane nach dem Hato hinunter,von wo sie uns in zwei Tagen abholen sollte. Bei unsblieben Santiago und unser indianischer »Führer«, der abernie vorher hier oben gewesen war.
Der Pflanzenwuchs dringt auf unserm Volcanin einer langen Zunge weit in die vegetationslose Zone derjungen Moränen vor, die rechts und links von unserm Lavadammsich bergab erstrecken. Am ganzen westlichen Antisanarückt die Vegetation in ziemlich geschlossener Gras- undStaudendecke bis dicht an die Moränengrenze hinan. Es fehlthier jener öde Gürtel von Bimssteinanhäufungen, der amChimborazo und am Cotopaxi von der Moränengrenze an nocheinige 100 Meter tiefer am Berg hinabreicht und dem Andrangdes vegetabilen Lebens äußerst lange und zähe Widerstandleistet. Es fehlt aber auch, da die Schneegrenze desAntisana wegen seiner großen Feuchtigkeit verhältnismäßigtief liegt, jene sterile Zone von Gehängeschutt, die sich aufBergen mit hochliegender Schneegrenze, wie dem Chimborazo,zwischen die Moränen und die Vegetationsgrenze aus klimatischenGründen einschiebt. Auf unserm in die Eiswelt eindringendenLavastrom, der wie eine schmale Halbinsel in ein[116]Polarmeer hineinragt, verschwinden mit zunehmender Höhevon etwa 4300 Meter an allmählich die höheren Gräser;die geselligen Kräuter überwiegen, aber kleine Gräser undZwergsträucher sind noch zahlreich eingestreut. Von 4500 Meteran wird die Vegetationsdecke immer offener und dünner, abernoch am Rand der sterilen, den Oberteil des Volcans verschüttendenMoränen bei 4700 Meter ist das Wachstum sokräftig, daß man annehmen muß, diese Formation, die manwohl am besten als Fels- und Geröllformation bezeichnet,würde, wenn der Lavastrom noch 100 bis 200 Meter höherhinauf reichte, in langsamer Auflösung ebenso hoch hinaufgehen,ehe sie an den klimatischen Extremen ihre letzteSchranke findet. Nur die tiefliegende Eisgrenze des Antisana,nicht extreme Temperaturen oder extreme Trockenheitsgradelassen hier die Vegetation nicht höher steigen.
Es ist eine prächtige Gletscherlandschaft, dieunser Zeltlager in der Runde umgibt. Zum Berg hingewandthaben wir rechts von uns und über unserm Lavastrom dielange Eiszunge des Westgletschers, links einen höher am Bergendenden kürzern Eisstrom, beide auf mächtigen Moränenkegelnruhend, und weiter das große Firnfeld, dessen weiteFlächen sich zum Sattelkamm zwischen den beiden Antisanagipfelnhinanheben.
Während Herr Reschreiter ein farbiges Bild des Westgletscherszu malen begann und unser Cholo zwischen Felsblöckeneine Küche zurechtmachte, stieg ich mit Santiago, derallerlei tragen mußte, auf den Moränenhügeln zum Eis desWestgletschers empor. Dabei bemerkte ich etwa 50Meter unterhalb des offenen Gletscherfußes an Wasserrissen,daß unter dem Schutt das pure Eis liegt. Auf dem rutschigenSchutt kamen wir in einer Stunde auf das Eisfeld selbst hinauf[117](bei 4900 Meter), wo nach rechts und links der West- undder Guagraialinagletscher abzweigen; aber nördlich vom Guagraialinagletschertritt nun noch ein anderer längerer Eisstromhervor, der dort gegen den dunklen Yana-Volcan anströmtund von ihm in zwei wildbewegte Arme gespalten wird. Ichnenne ihn Yanagletscher. Die blauweißen Eismassen kontrastierenscharf mit dem dunkelbraunen Lavastrom, den sieumschließen. Trotzdem spricht sich in der langgezogenen, gewundenenGestalt und in den schrundigen, zackigen Oberflächenbeider eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem erstarrtenFeuerstrom und dem erstarrten Wasserstrom aus. Aber dasganze Landschaftsbild sagt uns, daß die Erstarrung desWasserstroms keine Bewegungslosigkeit ist. An geologischenZeitmaßen gemessen, erscheinen die Firn- und Eisfelder desAntisana in ihrem großen Zusammenhang als ein bewegtesMeer, das gegen den breiten Küstensaum der Moränenzoneanbrandet und ihn da und dort mit der mächtigen Spritzwelleeiner Gletscherzunge überflutet. Auch dieses Meerhat seine Gezeiten, in denen es als Ganzes zurückweicht odervordringt, aber ihre Dauer rechnet nach Tausenden von Jahren.
Diese Gletscher des westlichen Antisana sind nicht inTälern eingezwängte Eisströme wie unsere alpinen, sondernZipfel des großen, den Antisanakegel umhüllenden Eismantels,die da über den im ganzen gleichmäßig verlaufendenSaum des Mantels vorspringen, wo in kaum bemerkbarenBodenvertiefungen das Eis mehr hindrängt als ananderen Stellen. Lange Gletscherzungen können sich nichtbilden, da wegen der Kegelgestalt der Berge das Zehrgebietder Eisdecke breiter ist als das Nährgebiet. Es handelt sichalso am Antisana um sogenannte »Firngletscher«.
Auf dem schneebedeckten Eisfeld über dem Westgletscher[118]wanderten wir wie im bequemen Spaziergang bergan. Esist lauter Gletschereis, was wir unter den Füßen haben.Wohl ein Kilometer breit und fünf bis sechs Kilometer lang,bedeckt dieser untere Saum des großen Antisana-Eismantelsdie schwachgeneigten niederen Hänge des Berges. Bergaufwärtsist das Eisfeld anfangs ganz spaltenlos, geht dann aber mitdem Beginn der starken Steigung in große Eisbrüche über,die für den obern Antisana charakteristisch sind. Der Schneeüberzugunseres Eisfeldes war körnig und fest und trugvorzüglich. Weithin glänzte die Oberfläche von blankem»Eisfirnis«. Ich sah, daß wir am nächsten Tag anfangsleichtes Spiel haben würden. Das Nebeltreiben um dieGipfel beruhigte und lichtete sich zeitweilig, so daß ich photographierenund mit dem Fernglas die Firnfelder der Gipfelregionund des Sattelgrates inspizieren konnte. Da sah ichu. a., daß dort oben viele der dem Wind und der Sonnestark exponierten Firnkuppen und Hänge jene eigenartige, inzahllose Klippen und Zacken zerfressene Oberfläche (Nievepenitente, Büßerschnee, Zackenfirn) hatten, wie wir sie schonin den obersten Regionen des Chimborazo beobachtet hatten.Sie sind hier wie am Chimborazo auf die oberste Regionvon etwa 5400 Meter an beschränkt, wo der Wind, dieSonnenstrahlung, die Lufttrockenheit und die Verdunstungam stärksten und wo die durchlässige Firndecke am dickstenund noch am wenigsten fest vereist ist.
Von dem flachen Schneefeld, wo der Westgletscher abzweigt,stiegen wir auf die Zunge des Gletschers; sie ist vonder Wurzel (etwa 4900 Meter) bis zum Ende (4580 Meter)etwa anderthalb Kilometer lang. Mit steilen, oft senkrechtenSeitenwänden von 10 bis 15 Meter Höhe hebtsich die langgestreckte Eismasse über die Schutthalden, die[119]ihren Fuß bedecken. Der Gletscher schmiegt sich nicht wieunsere Alpengletscher mit flachgeböschter Oberfläche in seinkonkaves Bett, sondern ragt dammartig daraus empor wieeiner der oben geschilderten Lavaströme. Querspalten sind zahlreich,aber nicht tief und meist mit Schnee gefüllt. Je näherdem Zungenende, desto mehr zerklüftet und an den Seitenzerschmolzen ist der Gletscher, und schließlich löst er sich inein großes Haufenwerk von Séracs und bizarr gestaltetenSchmelztrümmern auf, unter denen der Eisfuß wie ein zäherTeig breit ausläuft.
Vor der Gletscherstirn (4580 Meter), die sich auf einemhohen Schuttkegel erhebt, liegen vier konzentrische Moränenbögenund bezeichnen vier Haltepunkte im Rückgang desGletscherendes. Die unterste Grenze dieser jungen Endmoränenist bei etwa 4500 Meter zu ziehen. Und darunterdehnt sich ein Rundhöckergebiet älterer Gletscherwirkung,deutlich erkennbar bis zu ungefähr 4200 Meter hinab undetwa 600 Meter breit, zum südlich benachbarten LavastromSarahuazi hinüber aus.
Ins Lager zurückgekehrt, fanden wir zwei zufriedeneMenschen vor: Herr Reschreiter war vergnügt, weil ihm seineFarbenskizze des Westgletschers vortrefflich gelungen war, undder Cholo schmunzelte, weil er einen delikaten Locro zustandegebracht hatte. Als wir den beiden Kunstwerken die gebührendeEhre angetan hatten, legten wir uns an denFelsen in die warme Sonne, schauten den Rauchwölkchenunserer Tabakspfeifen nach und dachten an weiter nichtsals an die Schönheit der Welt. Den ganzen Tag war esauffallend windstill und warm gewesen. Nirgends aufunserer Reise in Hochecuador haben wir einen so windstillenLagerplatz gehabt wie hier. Obwohl wir oben die vom[120]Ostwind getriebenen Wolken über den Firnsattel wie einenbreiten Wasserfall herabgleiten und zerfließen sahen, spürtenwir doch hier in 4700 Meter Höhe kaum einen Hauch. Wirwaren im Windschatten des Berges. Erst spät am Nachmittaggewannen die aufsteigenden Luftströme die Oberhand,und mit ihnen zogen schwere Nebel von unten herauf undumwirbelten uns gegen Abend erst mit Graupeln und dannmit feinflockigem Schnee, so daß wir bald ein weißes Zeltlagerhatten. In der Nacht klärte es sich auf, aber nunfegte der allnächtliche Fallwind stoßweise vom Berg herunterund drückte die Temperatur auf –2°.
Am Morgen waren die Zelte steif gefroren, der Schneedraußen hart. Aber die erhoffte Klarheit war mangelhaft.Der Berg hatte seinen üblichen großen runden Wolkenhelmund überschüttete uns schon wieder mit einzelnen Graupelböen.Im Westen hingegen, nach dem interandinen Hochlandund seinen Vulkanbergen hin, war es herrlich klar. Dortpräsentierte der Cotopaxi im rosaroten Morgensonnenglanzseine beschneite Nord- und Ostseite. Auf der Nordseite streckeneinige lange Lavaströme ihre dunklen Grate bis zu etwa5000 Meter Höhe in den Schneemantel hinauf, währendauf der Ostseite der dort nur wenig gezackte Saum derFirn- und Eisdecke bis etwa 4400 Meter und stellenweise4300 Meter herunterreicht. Ein feiner Puder von Neuschneelag auf der Ostseite des Cotopaxi bis zu etwa 4000 Meterherab; auf den Osthängen des Sincholagua ungefähr ebensotief, aber auf denen des Rumiñagui, des Corazon und desIliniza, die schon nahe an oder auf der Westkordillere stehen,beträchtlich höher.
Während es bei uns leise weitergraupelte, setzte ich michnach 7 Uhr mit Herrn Reschreiter und Santiago bergauf in[121]Bewegung. Sobald wir aus unserm Felsenschutz herauswaren, überfiel uns gleich der pfeifende, eisige Wind undder uns entgegenstiebende körnige Neuschnee. Um 8 Uhrwaren wir über die Moränen weg an der Eisgrenze bei4900 Meter Höhe, und nun ging es mit dem Seil auf demfestgefrorenen Schneefeld flott bergan. Das ganze Firnfeldschien gegen uns in Bewegung zu sein: in Tausenden von kleinenStrömen floß der windgetriebene Hochschnee auf uns zu.Noch legten sich uns keine Spalten in den Weg, und noch hattenuns die vom Mittelgrat herabflutenden Wolken nicht erreicht.Aber nach einer Stunde begannen mit der stärkern Steigungdes Berghanges die Spalten bei 5100 Meter Höhe. Dasie großenteils mit Neuschnee verweht waren, hieß es vorsichtigsein. Herr Reschreiter, der hier als vorderster amSeil ging, sondierte mit dem Pickel Schritt für Schritt,aber plötzlich brach er durch und saß bis an die Brust ineinem Loch, während sein Unterkörper frei über der Tiefehing. Glücklicherweise fand er für seine Fußspitze einenStützpunkt in der Spaltenwand. Behutsam verankerte er sichseitwärts mit dem Pickel im festen Eis, langsam drehte ersich auf die Seite, langsam zogen wir mit gegengestemmtenPickeln am straffen Seil, und nach ein paar Sekundenkonzentrierter Kraftanspannung standen wir wieder beieinander.
Nun ward von uns noch vorsichtiger, noch langsamervorgegangen. Wir hielten die Richtung auf einen großenEisturm nahe unter dem Sattel zu, von wo ein Traversierendurch das Klüftegewirr ostwärts zum Kamm hinauf möglicherschien. Der Schnee war nun, als wir in die Regionder jagenden Wolken kamen, oft zu brett- oder schindelartigen,ein bis zwei Finger dicken, flachliegenden Wehen[122]angeblasen, die aber ganz gut gangbar waren. Spalte nachSpalte wurde überschritten oder übersprungen oder umgangen.So oft die Luft etwas klarer wurde, machte ich eine photographischeAufnahme mit der Handkamera. Gegen 11 Uhrstanden wir mitten in dem großartigsten Eisgeklüfte. Rechtsund links und vor uns klafften dunkle Schlünde und starrtenWände und Türme und Zinnen von 20 bis 35 MeterHöhe empor, alles um so phantastischer, als es, von Nebelnmehr und mehr umweht, gespenstig da und dort plötzlichauftauchte und wieder verschwand. In den Spalten schimmertedas Eis je nach der Dichte und Beleuchtung hellblau undmeergrün und in größerer Tiefe ultramarin und braunviolett.
In vielen Windungen die Séracs und Spalten umgehendoder auf vereisten Schneebrücken überschreitend, gelangtenwir allmählich in das Niveau des großen Eisturms, deruns von Anfang an die Richtung gewiesen hatte; aber derFirnhang wurde immer steiler und schwieriger, der Windimmer wütender, der Nebel immer dichter, das Schneestiebenimmer toller. Trotz der schweren Arbeit fühlte keiner vonuns besondere, aus der Bergeshöhe resultierende Beschwerden.Santiago, der sich mit Tüchern wie ein altes Bauernweibeingebunden hatte, wimmerte bisweilen ein wenig, aber erhielt aus. Unsere dicken Schneehauben bewährten sich wiedervortrefflich. Darüber aber waren wir von Schnee undEis inkrustiert wie der berühmte Eispeter im Bilderbuchvon Wilhelm Busch. Endlich betraten wir einen ziemlichbreiten Firnrücken vor einem Steilabsturz; unter uns eingraues, düsteres Nebelchaos. Das war die Caldera desAntisana und unser Standpunkt der Sattel zwischen denbeiden Gipfeln (5505 Meter). Zu sehen war aber hier sogut wie nichts. Nur das stand fest, daß wir bei dem Wetter[123]nicht daran denken konnten, über die Klüfte und Wände,die uns noch vom Hauptgipfel trennten, wegzukommen. Dererste Versuch, den ich machte, führte uns gleich an einenSchrund von über 20 Meter Breite und unsichtbarerTiefe, so daß wir ohne langes Zögern umkehrten.
Von unseren heraufführenden Spuren war schon naheunter dem Sattel nichts mehr zu erkennen. Der Wind hattesie weggefegt oder mit Kornschnee ausgeglättet. Wir begannendaher nach dem Kompaß und nach der Erinnerungeine »ice-navigation« – wie es Whymper nennt–, dieim Nebel und Sturm verteufelt heikel war und unsere Aufmerksamkeitauf das höchste anspannte. Aber glücklichwandten wir uns wieder zwischen den bösartigen Spaltendurch und erreichten nach einer Stunde unterhalb derBruchregion das große Firnfeld, wo wir in flottemTempo ausgreifen konnten. Der Schnee fiel aber jetztauch hier so dicht, daß eine Orientierung nach außenunmöglich war. Es entstand erst eine Meinungsverschiedenheitüber die einzuschlagende Richtung, doch ichbestand auf strengstes Befolgen meines Kompasses, dessenWeisungen ich schon beim Aufstieg öfters notiert hatte,und in dieser Richtung steuernd, landeten wir um 2 Uhrrichtig an derselben Stelle, wo wir am Morgen das Eisbetreten hatten. Des Seiles ledig, eilten wir nun hurtigüber die Moränenhalden hinab und standen bald, immernoch von etwas Schnee, von Regen und von Wind begleitet,wieder bei unseren Zelten. Die triefnassen Wettermäntelflogen herunter, und unser enges, aber stets von neuemgebenedeites Bergheim nahm uns wieder auf.
Im stillen Zeltchen Tee trinkend, gerösteten heißen Maiskauend und Cigarillos rauchend, warteten wir in Geduld,[124]bis uns der Verabredung gemäß unsere Arrieros mit denMulas abholten. Trotz des nichtsnutzigen Wetters kamendie Braven mit nur wenig Verspätung um Mitte des Nachmittagesan. Die beiden Männer waren ganz friedlichen,freundlichen Sinnes, obgleich sie wieder einmal stundenlangmit ihren Bastsandalen im schneeigen Schlick patschen mußten.Diese heitere Seelenstimmung war, wie ich schnell merkte,durch gründliche Imprägnierung mit Chichaschnaps hervorgerufen.Weniger vergnügt waren die »Bestias« über dasWetter. Das hatte aber das Gute, daß sie mit unsunaufhaltsam freundlicheren Gefilden am Bergesfuß zudrängtenund auf dem Pfad der Páramos von selbst einenTrab anschlugen, der uns noch vor Dunkelwerden zumHato Antisana zurückbrachte. Schneidender Ostwind undströmender Regen verfolgten uns bis unter das schützendeDach. Der Antisana hatte es offenbar darauf abgesehen, sichuns auch einmal in seiner ganzen, als »brava« verschrieenenAbscheulichkeit zu zeigen und uns für unsere Frechheit, daßwir seinen Rücken betreten hatten, einen gründlichen Denkzettelzu verabreichen.
Am nächsten Morgen stand der Berg wieder mit seinemgroßen weißen Wolkenhut vor uns wie am Morgen vorher.Gern hätte ich noch einen oder zwei Tage drangewandt, umdie nordwestliche lange Gletscherzunge am Yana-Volcanoder die Eisverhältnisse auf der Südseite zu untersuchen,aber unsere Zeit war auf das knappste bemessen. Ich mußtemich deshalb, während die Karawane sich zur Rückreiserüstete, mit einem kurzen Vorstoß zum Südfuß des Antisanahin begnügen, um von den dortigen Zuständen etwasmehr zu sehen, als es vom Hügel am Hato aus möglich war.Jenseits des Guamanihügels erreichte ich bald eine zweite[125]Bodenschwelle, die eine ziemlich freie Übersicht über die Südwestseitedes Berges gewährte.
Ich sah nun den Sarahuazi-Volcan östlich vom Westgletscherunter den Moränenhalden hervorkommen und in einbreites niedriges Hügelland auseinanderlaufen, und ich sahöstlich davon die Eisgrenze des Antisana sich leicht zumSüdfuß des Berges senken, wo mit einem mächtigen vorspringendenFelssporn die riesigen Felswände des Südgipfelsbeginnen. Ich sah aber auch, daß dort die Felswände zueinem großen amphitheatralisch in den Bergkörper hineingewölbtenKar abfallen, das die charakteristische Lehnsesselformund einen ebenen Boden hat. Cuchu ist die indianischeBezeichnung für diese typische Talform, die immer ein Merkmaleinstiger stärkerer Gletscherwirkung ist. Das vor uns liegendeheißt Corral-cuchu, weil die Hirten des Hato dort einenViehzaun (corral) haben. Ein noch größeres Kar von ganzähnlicher Gestalt liegt südöstlich daneben; es ist das SanSimon-cuchu. Beide Karböden gehen weiter draußen inenge Bachtäler über, durch welche die Gletscherwasser abfließen.In jedem der beiden Kare liegt ein breiter, kurzer,steiler Gletscher mit großen Spalten und Stufenbrüchen.
Zum Hato del Antisana gegen 9 Uhr zurückgekehrt, fandich die Karawane reisefertig. Sofort setzten wir uns zumRückmarsch in Bewegung, der uns an diesem Tag überPinantura hinaus bis zur Hacienda Rosario in der Quitomuldebringen sollte. Ich schlug aber diesmal bis zumAntisanilla-Volcan einen etwas südlichern Pfad ein alsauf der Herreise, der sich als etwas kürzer erwies. Dabeipassierten wir im Anfang eine breite, flache Bachmulde, inder sich Scharen scheuer Rinder tummelten und Schwärmevon ibisartigen, krummschnäbeligen Vögeln schreiend umherflogen.[126]Es ist der von den Einheimischen »Bandurria«(Thersiticus caudatus) genannte Vogel, ein möwengroßes,dunkelgraues Tier mit weißen Bändern über den Flügeln,das der Ostkordillere, namentlich dem Antisana, eigentümlichist und mit seinem Schnepfenschnabel in den Sümpfen derPáramos nach Nahrung wühlt, aber auch im Mist derRinderherden nach freßbarem Inhalt sucht.
An der Quebrada Puyurima bekamen wir einen gutenAusblick auf die Ost- und Nordseite des Sincholagua. Ganzlangsam hebt sich von uns aus die braungraue Páramofläche10 Kilometer zur breiten Felspyramide dieses altenVulkanes hin, ein Landschaftsbild von trister Einförmigkeitund Leblosigkeit. Droben schimmern Schneeflecken auf denWänden. Die steile, lange Ostwand hat keine Gletscher,aber auf der Nordseite hängt zwischen den beiden felsigenGipfeln nahe dem Nordgipfel ein kleiner Steilgletscher in dieweite, nach Norden offene und einem großen Kar gleichendeCaldera hinab, deren obere rechte Hälfte der Länge nachausfüllend. Rechts und links von seiner Stirn ziehen jezwei parallele Ufermoränen bis zum Kargrund in etwa4200 Meter Höhe, wo eine dreistufige Endmoräne diejüngeren Glazialbildungen abschließt.
Der Quebrada Puyurima folgend und weiter wieder amLavastrom von Antisanilla entlang reitend, trafen wir vorMitte des Nachmittags in der Hacienda Pinantura ein,kreuzten wieder die Quebrada Guapál, die jetzt bei vollemTageslicht nicht mehr die Schrecken hatte wie auf demNachtmarsch der Herreise, und eilten jenseits durch die Tuff-und Lößschluchten nach Pintac hinab, von wo wir gegenAbend in der Hacienda Rosario zum Nachtquartieranlangten.
[127]
Am Abend setzte die untergehende Sonne den ganzenHimmel in Flammen, als ob sie noch im Erlöschen einenWeltenbrand entzünden wollte. Vor der glühenden gelb-rot-violettenDämmerungslohe standen im Westen die schonnächtlich schwarzen Silhouetten der langgestreckten VulkanePichincha, Atacatzo und Corazon, während über ihnen dunkle,goldgesäumte Wolkenbänke, an der Oberseite zu ungeheuerenHöhen aufgetürmt, an der Unterseite wagerecht abgeschnittenund seitlich durch lange Ausläufer miteinander zu einemGanzen verbunden, noch ein Gebirge über dem Gebirge, einhimmlisches über dem irdischen, ins Dasein zu rufen schienen.In diesem Lande der großen Monotonie, der Einförmigkeitder Linien und Flächen, der Eintönigkeit der Farben undStimmungen, scheint der Himmel mit seiner abendlichen undfrühmorgendlichen Farbenpracht dem Landschaftsbild dieSchönheitsreize verleihen zu wollen, die ihm die Erde versagthat. Wir standen stumm in Anschauen versunken, bis dieNacht dem zauberischen Schauspiel ein Ende machte.

Am Morgen regnete es in Strömen. Aber je weiter wiraus dem Bereich der nassen Ostkordillere nach Westen kamen,desto heller wurde es; die Westkordillere lag in schönsterKlarheit. Von der Höhe des Poingasi-Rückens warfen wireinen Abschiedsblick auf die durcheilte weite Quitomuldeund stiegen dann, ihr den Rücken wendend, vom Tuffrückendes Poingasi westwärts nach Quito hinab, das in lethargischerRuhe und Stille unter uns lag. Um 7 Uhr waren wirvon der Hacienda Rosario weggeritten, nach 12 Uhr zogenwir wieder in die Hauptstadt ein.

[128]
Der Cotopaxi.
1. Der Berg.
Von allen Schneebergen Ecuadors hat von jeher keinerso sehr das Interesse der Ecuatorianer selbst erregtwie der Cotopaxi. Das verdankt er seiner Lage, seiner Gestaltund seiner vulkanischen Tätigkeit. Einer die Ost- mit derWestkordillere verbindenden Vulkanreihe (Quilindaña-Cotopaxi-Rumiñagui-Corazon)angehörend, ist er so weit in dieinterandine Hochebene vorgeschoben, daß er vom Nordenund Süden des Hochlands gut zu sehen ist. Wo wir auch imHochlande reisten, fast überall trat, sobald sich die Fernsichtöffnete, der wundervolle weiße Riesenkegel des Cotopaxiaus den Wolken hervor, einzig in seiner Art, nie zu verwechselnmit einem der anderen großen Schneehäupter, dermajestätische Zentralvulkan von Hochecuador. Ganz frei vomFußpunkt bis zum Gipfel, ohne Vorberge und Zwischenstufen,präsentiert er sich auf der Westseite, und dort zieht stundenlangüber seine Basisebene die einzige große Verkehrsstraßedes Hochlands hin, von Latacunga nach Quito, auf derjährlich viele Tausende im vollen Angesicht des Berges vonNorden nach Süden oder umgekehrt wandern.

Den Cotopaxi kennen die Hochlandsbewohner alle, währendsie über die anderen Bergerscheinungen sehr oft im ungewissensind. Für die gewaltige Größe und Schönheit dieser[129]Berggestalt sind sogar die für Natureindrücke so stumpfenEcuatorianer empfänglich: »hecho como al torno« (wieauf der Drehbank gemacht), sagten vom Cotopaxi schon zuHumboldt die Eingeborenen bewundernd. Freilich, bei solchergelegentlichen Bewunderung aus der Ferne ist es immer geblieben.Nur wenige Ecuatorianer haben die Schneeregion desBerges betreten, und diese wenigen immer nur in Begleitungvon europäischen Reisenden. Gewöhnlich waren es indianischeTräger, die es um des klingenden Lohnes willen taten. Vonden »Gebildeten« des Landes, die sich mehr aus Neugierdeoder Eitelkeit als aus ernstem Wissens- oder Tatendrangeinem der europäischen Forscher angeschlossen haben, ist erstein einziger (A. Sandoval mit Theodor Wolf) zum Gipfelgelangt, weil weder ihre physische Kraft noch ihr Mutnoch ihre Energie ausreichten.
[130]

Der Cotopaxi erhebt sich zu seiner 6005 Meter messendenHöhe (mit der mächtigen Firnhaube des Jahres 1903)aus der etwa 3000 Meter hohen Ebene des Rio Cutuchiim Westen, während auf den anderen Seiten sein Fuß aufdem Vorland in 3700 bis 3800 Meter Höhe steht. Aufder höchsten, der Westseite, gemessen, ragt sein Haupt alsonur etwa 3000 Meter über seine Hochebenenbasis empor;er gehört somit nach seiner relativen Höhe als Bergindividuumtrotz seiner rund 6000 Meter betragenden Gipfelhöhenicht zu den Riesen seines vulkanischen Geschlechts,unter denen zum Beispiel der Kilimandjaro von eineretwa 700 Meter hohen Ebene zu 6010 Meter emporsteigt,also eine relative Höhe von rund 5300 Meter hat. Aberkein anderer aktiver Vulkan der Welt hat eine größere absoluteHöhe als der Cotopaxi. Über seine Umgebung erhebt[131]er sich gleich der Zitadelle eines gewaltigen Festungsvierecks,dessen vorgeschobene Werke die kleineren Nachbarvulkane Rumiñagui,Pasochoa und Sincholagua sind.
Dem Anblick der großen Zahl seiner Beschauer entrücktund am wenigsten bekannt ist die Ostseite des Berges. Sieist die steilste und kürzeste Seite, da ihre Basis schon bei3800 Meter dem vor- und untergelagerten Fußgebirge aufsitzt.So große Aschenfelder wie auf den anderen Seiten desBerges gibt es hier nicht, denn die vorherrschenden östlichenWinde tragen die leichten Auswürflinge des Gipfelkratersnach Westen. Aber um so gewaltiger ist im Osten dieÜberflutung von Lavaströmen, da der östliche Kraterrandetwas eingeschartet ist und die flüssige Glut am ersten übertretenläßt. In neuerer historischer Zeit hatten sich dieLaven mehr nach der Westseite ergossen, aber gerade dadurchist jetzt der Westrand des Kraters wieder höher gewordenals der Ostrand. Nicht nur die Lavaströme haben die Hängeder Ostseite wild zerrissen und, am Abhang erkaltend, ohne denBergfuß selbst zu erreichen, zahllose Stufen und Dämme aufgebaut,sondern auch die von den plötzlichen Schneeschmelzenherabgesandten Wasser- und Schlammströme haben dieseBergseite tief gefurcht und ihre großen Massen von Gesteinstrümmernostwärts in das weite Hochtal »Vallevicioso« gewälzt. Aber nur in den unteren Teilen der Osthängetreten diese Zerstörungen und Neubildungen zutage;in den oberen größeren Partien umhüllt den Kegel jetztein mächtiger Firn- und Eismantel, dessen Randgletscher hierinfolge der von Osten kommenden starken atmosphärischenNiederschläge sich weiter bergab (bis etwa 4300 Meter)ausdehnen als auf den anderen Seiten. Der Firnmantel istaber in der Mitte seiner ganzen Vertikallänge etwas[132]eingebogen und verdeckt dort mit Eis und Schnee die breitesteile Bahn, die von den über den Kraterrand quellendenund am jähen Berghang abstürzenden Lavamassen im Massivdes Kegels ausgefahren ist. Frühere Besteiger haben dieseFormation auf der Ost- wie auf der Westseite ohne Schneebedeckunggesehen.
Weniger tief als auf der Ostseite reicht auf der Südseitedie Firn- und Eisdecke herab. Sie endet in ungefähr4650 Meter Höhe am Fuß der Felsmasse »Picacho«, dieschroff, verwittert, ruinenhaft aus dem Südhang des Bergeshervorragt und ein vereinzeltes Überbleibsel des ältern, vomCotopaxi verschütteten vulkanischen Fußgebirges ist. Sie hatzum Cotopaxi dasselbe Verhältnis wie die Somma zumVesuv. Auch von jüngeren Lavaströmen, Schlammströmen,Wasserrissen bemerkt man auf der südlichen Bergseite relativwenig, da der hochgewölbte südliche Kraterrand seit langemein Überfluten der Laven nach Süden verhindert hat. Flachläuft der Südfuß bei 3700 Meter in die südlichen, schildförmigen,älteren Vorberge aus, die, von jüngerer Aschebedeckt, sich unabsehbar nach Süden dehnen.
Auch auf der entgegengesetzten, der Nordseite, stehtder Fuß des Cotopaxi in etwa 3700 Meter Höhe auf demältern Grundgebirge. Dorthin aber in den weiten Binnenraumzwischen ihm selbst und seinen drei kleineren NachbarnRumiñagui, Pasochoa und Sincholagua hat der großeVulkan ungeheuere Ausbruchmassen, Lavaströme, Schlammflutenund Aschenregen, entsandt; und über dieser Wildnisthront der höchste Gipfel des Berges, die schneeige rundeNordkuppe, von der aus sich der weite Firnmantel bis zu4700 Meter herabsenkt. Wegen dieser hohen Gipfelkuppeund weil man hier den elliptischen Kraterrand von der[133]Schmalseite sieht, hat die Nordseite des Berges die ausgeprägtesteKegelform, während auf der Westseite, wo sichder elliptische Kraterrand in der Längsansicht zeigt undkeinen hochragenden Gipfel trägt, der Kegel stark abgestumpftund breiter erscheint.
Am gleichmäßigsten in seiner Ausdehnung und Begrenzunglegt sich der Schneemantel um die Westseite desBerges. Bis zu durchschnittlich 4700 Meter breitet er sich hierbergab aus, wird in der Mitte oben bloß von zwei dunklenFelsflecken durchbrochen und ist am Rande nur von wenigeneinspringenden Lavawällen und vorspringenden ganz kurzenGletscherzungen gesäumt. Darunter aber sinken die dunklenBerghänge noch weitere 1700 Meter bis zu seiner Basis ab,die hier auf der Westseite nicht wie auf den anderen Seitenein bergiges, ödes Vor- und Unterland ist, sondern die interandineHochebene selbst, durch die sich gemächlich der Cutuchiflußwindet, und von deren Wiesen, Feldern, Gehöftenund Dörfern sich einzelne Ausläufer zu dem großen Vulkanvorschieben wie Vorposten gegen den Feind. Seine Feindschaftgegen alles Lebendige offenbart sich gerade auf dieserWestseite furchtbar durch die Aschenfälle und Schlammströme,die er weit über das Kulturland entsandt hat. Und wie einunablässig mahnendes Warnungssignal flattert in kurzenIntervallen am Gipfel eine kleine weiße Fahne von Kraterdämpfen.Aber gerade dieses harte Nebeneinander von Lebensdrangund Todesgefahr macht den Anblick des Berges vonder Westseite so eindrucksvoll. Und dazu zeigt er sich vonkeiner andern Seite dem Beschauer so breit, so groß, soebenmäßig in seinem Aufbau wie von dieser, von der ihnweitaus die meisten Menschen des Hochlandes sehen.
Von Westen gesehen, hat der Cotopaxi keinen andern[134]großen Berg als Nebenbuhler neben sich. Auf keiner andernSeite holt die wundervolle vulkanische Kurve seines Profils,deren Schönheit uns auch auf den anderen Seiten begeistert,so weit aus wie auf dieser. Der kraftvolle Nachdruckdieser Kurvenführung liegt in dem letzten obersten Schwung,wie in einem titanischen, von der Erde zum Himmel geführtenHieb. Unwiderstehlich zieht diese Bogenlinie den Blick zuerstnach oben. Dann gleitet er mit den abwärts führenden Firnrinnen,Lavaströmen und Wasserrissen langsam zum Bergesfußzurück, wo die große Kurve ganz sanft in die Horizontaleder Basisebene ausklingt. »Bergschleppe« nennen dieJapaner in treffendem Vergleich bei ihren Vulkanen denunmerklichen Übergang des untern Berghangs in diehorizontale Richtung. In diesem breiten festen Aufruhenauf seinem Fundament empfinden und erkennen wir einweiteres Element seiner Größe. Es ist nicht wie am Ätna,wo der Eindruck der Breite über den der Höhe überwiegt,sondern die Höhenwirkung dominiert am Cotopaxi entschieden.Aber wie am Ätna und ähnlichen Vulkanen sagt uns zugleichdieses breite Auslaufen seines Sockels, daß dieser Berg nichtdurch hebende Kräfte erbaut ist, sondern durch die von obenherabfließenden Lavaströme und Aschenregen, deren Massenimmer mehr abnehmen müssen, je weiter sie sich vom zentralenAusbruchspunkt entfernen.
Diesen eigenartigen bauenden Kräften verdankt derCotopaxi seinen Stil. Seine Form verrät zugleich seinen Bauund seine Jugend. Er ist, aus einiger Entfernung gesehen,ein Vulkankegel von architektonischer Symmetrie. Auch dieSchar von kleinen parasitären Eruptionskegeln fehlt ihm, wiesie zum Beispiel den Kilimandjaro umringen und ihm teilweiseaufsitzen. Deshalb ist eine große Ruhe und eine ruhige[135]Größe in der Erscheinung des Cotopaxi, die durch denriesigen, gleichmäßigen, drei Viertel der Bergeshöhe umschließendenSchnee- und Eispanzer noch mehr gesteigertwird. Daß die symmetrische Gestalt nicht starr wirkt, verhindertdas lebendige Spiel der Wolken, des Lichtes, derFarbe und die bewegte Umfassungslinie der Pflanzen- undSchneedecke. Dabei überlegen wir, daß die kolossale absoluteHöhe dieses Berges von rund 6000 Meter noch längst nichterreicht würde, wenn wir den Ätna und den Vesuv und denStromboli übereinanderstellen könnten. Wir ahnen die großeUrsache, die dieser Erscheinung zugrunde liegt; die Vorstellungvon den ungeheuren vulkanischen Kräften, die diesenebenmäßigen Riesenbau errichtet haben, flößt uns das Gefühldes Erhabenen ein und löst in uns neben den ästhetischenauch ethische Geistesregungen höherer Ordnung aus.
Die Versuche, den Gipfel dieses höchsten tätigen Vulkansder Erde zu besteigen, beginnen mit Alexander von Humboldt.Seinem im Mai 1802 unternommenen Versuch folgtenBoussingault und Hall im Dezember 1831, der deutscheReisende Moriz Wagner im Dezember 1858, aber erreichtwurde der Gipfel von Santa Ana am Westfuß aus erstam 27. November 1872 durch Wilhelm Reiß. SeinemReisegefährten Alphons Stübel glückte der Versuch wenigeMonate später ebenfalls. Vier Jahre danach, nur ein Vierteljahrnach dem furchtbaren Ausbruch vom 26. Juni 1877,nahm der an der Universität Quito als Geolog tätige DeutscheTheodor Wolf den Berg abermals in Angriff und erreichteden Krater auf einer neuen Route im September 1877,wobei auch die höchste Spitze des Kraterrandes, der Nordgipfel,zum ersten Male betreten wurde. Auf der gleichenRoute hatte der spätere deutsche Staatssekretär des Reichsschatzamtes,[136]Freiherr von Thielmann, im Januar 1878 Erfolg.Der Klassiker des Alpinismus, Edward Whymper,hat den Berg, den Wolf-Thielmannschen Spuren folgend,mit Schweizer Führern gleichfalls bezwungen. Das war imFebruar 1880; seitdem hatte bis auf meine Zeit keinesMenschen Auge wieder den Krater gesehen.
2. Der Anmarsch.
Das Wetter war regnerisch und nebelig, als wir am11. Juli 1903 von Latacunga nach dem Dorf Mulaló amSüdwestfuß des Cotopaxi ritten; meist über ebenes Terrain.Zuerst ging es an braunwässerigen eiligen Bächen zwischenummauerten Gärten und Feldern entlang, dann über dasbreite, flache Schwemmtal des vom Cotopaxi kommendenRio Aláques, wo uns die ungeheuren Massen von Geröll,Kies und großen Blöcken, die der Fluß zu beiden Seitenseines jetzigen Bettes ausgebreitet hat, zum erstenmal einenBegriff von der furchtbaren Wirkung der Schlammströmegeben, die der Berg bei Eruptionen durch seine Schmelzwasserentsendet. Über 4 Meter hoch liegen hier noch die Schottermassender Eruption des Jahres 1877.
Den Verlauf dieser »Avenida« (Schlammstrom) vom26. Juni 177 schildert recht anschaulich Wilhelm Reiß:»Mit dumpfem Brausen, fast mit fernem donnerähnlichen Getösewälzen sich die mit vulkanischer Asche, Gesteinstrümmern,glühenden Lavablöcken und großen Eismassen vermischten Gewässeram Abhang herab. An den unteren Gehängen drängensie sich in den dort eingeschnittenen Schluchten zusammen, dieselbenbis zu Höhen von 60 bis 100 Meter erfüllend, überdie Seitenwände sich ergießend und auf den Abhängen Schutthügel[137]bis zu 20 und 30 Meter Höhe absetzend. Am Fußdes Berges aber, wo die Wasserläufe nur wenig eingeschnittensind, überschreiten sie die Talbetten und dehnen sich als wildeSchlammfluten über das Land aus, alles vernichtend undzerstörend. Häuser, Haciendas, Fabriken, Menschen und Viehmit sich fortreißend, bildeten 1877 die Schlammflutenzwischen Mulaló und Latacunga einen weiten See von ungefähr28 Kilometer Länge und 1,6 Kilometer Breite, in dessenganzer Ausdehnung das Land nach Ablauf der Gewässer etwaein Meter hoch mit Schlamm, Schutt und Detritus bedecktwar. Alle Straßen wurden zerstört, alle Brücken weggerissen;in der Umgegend von Latacunga berechnete man den Verlustan Menschenleben auf etwa 300 Personen, obgleich der Ausbruchbei Tage erfolgte und viele sich retten konnten. Miteiner Geschwindigkeit von etwa 10 Meter in der Sekunde (!)brausten die Fluten dahin. Drei Stunden nach seinem Eintreffenin Mulaló zerstörte der Schlammstrom bereits die15 geographische Meilen entfernte Brücke über den RioPastaza am Fuß des Tunguragua; er erhob sich dort100 Meter hoch in dem 12 Meter breiten Flußbett. Ähnlicheinem Lavastrom, seitlich wie von einer Mauer oder einemhohen Damm begrenzt, bewegten sich die Schlammassenvorwärts; sie überstürzten sich wie hohe Wellen, die sichfortwährend nach vorn überschlugen.«
Auf einer wegen der Unsicherheit des Flusses immerinterimistischen Brücke von Balken, Rohrgeflecht und Kiesbewurfsetzten wir über den 12 Meter breiten Aláquesfluß,folgten jenseits dem Ostrand der interandinen Hochebene,die hier sumpfig und binsenbewachsen ist wie ein alterSeeboden, und stiegen dann gemächlich durch etwas reichlicherbebautes Land zum Dörfchen Mulaló (3073 Meter)[138]an, das mit seiner kleinen Kirche und seinen 20 bis 30Häusern auf einem niedrigen Hügel liegt, wodurch es bishervon der Zerstörung durch die Schlammströme des Cotopaxibewahrt geblieben ist, die dicht daneben das Land überschwemmtund verwüstet haben. Aber die Aschenregen undSteinbombardements seines furchtbaren Nachbars Cotopaxihaben den Ort ebenso getroffen wie die übrige Umgebung,am verderblichsten wohl im April 1768, wo die Häuserdurch die glühenden Schlacken in Brand gesetzt, elf Personendurch vulkanische Bomben erschlagen wurden und woder Aschenregen eine anderthalb Fuß dicke tödliche Schichtauf die Gegend legte. Die Ruine der damals zerstörten altenKirche steht noch neben der neuen. Im Haus des freundlichen»Padre Cura« (des Pfarrers) stiegen wir ab.
Der Aufforderung des Pfarrers folgend, meldeten sicham Morgen nach unserer Ankunft eine größere ZahlPeones zu unserer Begleitung, als wir brauchten. Die engereAuswahl traf der Vater des Priesters. Der alte Herr machtemit den Leuten kurzen Prozeß. Er bestimmte einfach diekräftigsten zum Mitgehen, und als einer von ihnen einenEinwand erhob, schrie er ihn wütend an, entriß ihm denlangen Stock, den die Peones zu tragen pflegen, und hiebihm damit über den dicken Filzhut, daß es krachte undstäubte. Die Logik dieses Verfahrens war zwingend; infünf Minuten waren wir handelseinig.
Vom Cotopaxi bekamen wir auch hier nichts weiter zusehen als die untere Region bis zur Grenze des ewigenSchnees (bei 4700 Meter), von dem kurze, spitze Zungenausliefen. Darauf und darunter bis tief in die Páramoregionherab lag dichter Neuschnee. Der Pfarrer versicherte, derBerg werde nach starkem Neuschnee meistens ganz klar und[139]bleibe es zwei bis drei Tage. Äußerst wechselvoll ist amBerg das Spiel der Wolken. Am Morgen bis gegen 9 Uhrzieht bis zur Höhe von 4000 Meter ein langer schmalerRing von Stratuswolken aus Osten über Süden nach Westendicht um den Cotopaxi. Darüber ist ein Raum von etwa1000 Meter Höhe ziemlich wolkenfrei, und über ihm steigenauf dem Westhang des Berges einzelne Wolkengruppen vonWesten her bergan. Ganz oben kommt der Wolkenzug wiederaus Osten. Allmählich aber gewinnt von 9 Uhr an der östlicheLuftzug die Oberhand, und bald ziehen alle Wolken desBerges nach Westen.
Am Mittag des 12. Juli ritten wir mit unserer kleinenKarawane und einem noch in letzter Stunde als Führerengagierten alten Hirten, der angeblich die ganze Süd- undWestseite des Berges bis zur Firngrenze hinauf kannte, nachNorden weg. Gleich hinter Mulaló betraten wir das Gebietder Schlamm- und Schuttströme, die sich, ungeheurenMuren unserer Alpen gleich, durch die südwestlichen Bachschluchtendes Cotopaxi herabgewälzt und nach Austritt indie Ebene zu riesigen Trümmerfeldern ausgebreitet haben.Furchtbar ist die Vermurung im Bereich des Rio Saquimálagmit seinen Zuflüssen. Unter den jüngeren Eruptionenhaben die von 1853, 1877 und 1881 am meisten zu diesenVerwüstungen beigetragen. Dreiviertel Stunde ritten wir überdas Trümmerfeld, das sich westwärts noch viel breiter ausflacht.Kolossale Blöcke verschiedenster Gesteinsarten sindzu Tausenden darüber verstreut und geben uns eine annäherndeVorstellung von der Gewalt dieser Schlammfluten.
Weiterreitend stiegen wir bald in die Quebrada des RioSaquimálag (3145 Meter) hinab, der in einem etwa 150Meter breiten Cañon zwischen 25 bis 30 Meter hohen[140]Steilwänden von Tuff und Lapilli nach Südwesten fließt.Die Talsohle ist durch Geröll und Sand zu einer Ebeneausgefüllt, in der sich der Fluß fortschlängelt. Wenn aberbei Eruptionen die Schmelzwasser mit ihren Schlammflutenkommen, erfüllen sie in wenigen Minuten den ganzen150 Meter breiten Cañon bis zum Rand.
All dieses Land ist begreiflicherweise nur sehr wenig mitPflanzen bewachsen. Es ward erst allmählich besser, als wiraus der Quebrada Saquimálag auf die Hochterrasse hinaufkamen,wo die kleine Hacienda Ilitio (3275 Meter)inmitten von Lupinenfeldern steht.
Mehr als vorher merkten wir beim Weiterreiten, daßdas Gelände in Stufen ansteigt. Die lange, aus der Ferneganz ungebrochen erscheinende Kurve der Vulkanböschungist in Wirklichkeit eine lange Folge von kurzen und langenStufen, die zum Berggipfel hin immer steiler werden. Teilssind sie durch die übereinandergeflossenen, an der Stirn steilabbrechenden Lavaströme entstanden, teils durch die rückwärtseinschneidende Erosion der Bäche. In einer solchenErosionsbucht, Hondon de León genannt, ging es nun durchBusch und Gras auf eine Stufe hinauf, wo nur noch vereinzelte,von Wind und Wetter zerzauste Berberitzenbäumeund wenige Sträucher der rotweiß blühenden Fuchsie imhohen grauen Grase stehen.
Kaum hatten wir diesen Páramo betreten (3450 Meter),da erschienen auch schon in Scharen die lieblichsten Kinderder alpinen Flora Ecuadors, die Gentianen. Da die Lasttiereerschöpft waren und Wasser in der Nähe war, währendes weiter oben bis an den Schnee keines mehr gab, ließ ichhier im hohen Gras die Zelte zum ersten Cotopaxilageraufschlagen (3670 Meter), so daß uns für den[141]nächsten Tag bis zur Schneegrenze noch etwa 1000 Meterübrigblieben.
Während sich die Peones an der Baumgrenze für dieNacht ein dürftiges Schutzdach aus Zweigen zusammenstecktenund meine beiden Arrieros eine Biwakküche improvisierten,trat endlich der langersehnte Moment ein, wo wir den Bergriesen,dem wir nun schon so nahe auf den Leib gerücktwaren, in Wirklichkeit zu sehen bekamen. Nach einem prasselndenRegenschauer riß das graue Gewölk im Nordosten auseinander,und da stand der Cotopaxi in seiner ganzen Größe,frei vom Scheitel bis zur Sohle. Wieviel hundertmal ich auchseit Jahren Bilder des Cotopaxi betrachtet und studiert hatte,wie oft ich auch von seiner Schönheit und Erhabenheit gelesenund gehört hatte, so hatte ich ihn mir doch nicht vorgestellt.Und Freund Reschreiter ebensowenig. Die plötzlicheErscheinung ergriff uns wie ein Zauber. Wir schautenhinauf, in Andacht versunken. Dann löste sich die Gemütsspannungin hellen Jubel aus; doch bald gewannen wiederVerstand und Wille die Oberhand, und jeder tat, was seinesAmtes war: Reschreiter zeichnete und malte (siehe buntesUmschlagbild), und ich photographierte, maß und suchte denganzen Berg mit dem Fernglas ab.
Von uns aus bergauf läuft nach wenigen 100 Metern diePáramovegetation in ihre letzten Zungen und Flecken aus,dann folgt ein breites Band von graubrauner Bimsstein-und Schuttwüste, durchzogen von zahllosen Neuschneestreifen,und darüber schwingt sich der gewaltige Schneekegel zumdunkelblauen Himmel auf, in so blendender Weiße, daß sichdie Augen von Zeit zu Zeit abwenden müssen. Lückenlos lagder ungeheure Firnmantel um den Berg, einzig unterbrochendurch zwei relativ kleine dunkle Felspartien an der obern[142]Westseite. Von vielen Seiten schien der Aufstieg zum abgestumpftenGipfel möglich, am direktesten im Westnordwesten,am nächsten aber für uns im Westsüdwesten auf die Südwestkuppezu. Alles dies erweckte uns frohe Hoffnungen fürdie nächsten Tage.
Unterdessen war es im Lager wohnlich geworden. DieArrieros lagen vor ihren primitiven Zeltchen im Gras undrauchten, die Peones kauerten unter ihrem schnell hergerichtetenLaubdach um ein qualmendes Feuer und verzehrtenschmatzend und schweigsam ihren gerösteten Mais, den»Mote«, und wir setzten uns vor unser kleines Zelt an denKlapptisch auf unsere beiden Blechkoffer, tranken Tee, ließenuns die warme Sonne behaglich auf den Rücken brennen,weideten uns an der unvergleichlichen Aussicht hinauf zumschneeigen Bergriesen oder hinunter in die bräunlich violette,von silbernen Wasserfäden durchwobene Ebene, hinüber zumbreiten dunklen Rumiñagui und zum doppelzackigen firntragendenIliniza und fern hinaus zum herrlichen Kuppeldomdes Chimborazo und gingen wieder einmal auf in derewig jungen Schönheit unserer alten Mutter Erde. Hoch überuns zog ein Kondor – die sich regelmäßig einzustellenpflegten, wenn wir irgendwo ein Lager aufgeschlagenhatten – seine Kreise am dunkelblauen Firmament, und amnahen Bach flatterten wilde Tauben und girrten im Liebesspiel.Das ist die Poesie dieser Gebirgslager, die man gegenkeinerlei Bequemlichkeiten der Welt eintauschen möchte!
Am nächsten Morgen bannte uns zunächst ein kräftigerRegen stundenlang ins Lager. Gegen 9 Uhr aber blitzteplötzlich die Sonne durch die nassen Nebel, und sofort warenwir auf den Beinen zum Weitermarsch. Bis zur nächstenHügelhöhe kannte sich unser alter Führer noch aus; wir indes[143]ebenfalls. Dann aber hörte seine Wissenschaft auf, und dieunserige begann, soweit sie uns nun der Berg selber lehrte.
Bis hierher hatte uns offener alpiner Busch begleitet.Von 4000 Meter an bis 4250 Meter finden sich nur nochwenige weit versprengte, dicht an den Boden geschmiegtePolsterchen von Alchemillen und kleine Büschel eines violettenGrases, dann durchreiten wir bis 4700 Meter eine hochalpineWüste, ein »Arenal«, ein wellig ansteigendes Geländevon Lapilli, Schlacken, Bimsstein, vulkanischer Ascheund Staub, dunkelgrau bis rotbraun in der Gesamtfärbungund größtenteils so fest, daß Menschen und Maultiereohne viel Rutschen und Einsinken darauf fortkommenkönnen. Nur selten ragt aus der Schuttdecke ein großerzackiger Felsklotz darunterliegender Laven.
Am Unterrand dieser wasserlosen Lapilliwüste brandet dasMeer des vegetabilen Lebens empor, gewinnt da und dort etwasTerrain, weicht an anderen Stellen zurück, immer in Bewegung,immer wechselnd, aber in meßbaren Zeiten doch stetsan ein bestimmtes Strandniveau gebunden wie der Ozean ander Festlandsküste. Das Bild vom unaufhörlichen schwerenKampf des Lebens gegen die feindlichen Gewalten der anorganischenNatur tritt uns nirgends in solcher Größe undAnschaulichkeit entgegen wie an der Vegetationsgrenze hoherGebirge. Und wir selbst stellen uns mitten hinein, indemwir durch die Wüstenzone der Schnee- und Eisgrenze entgegenziehen,die als eine zweite vielbewegte Strandlinie dasandere, von oben herabwogende Meer der Firnfelder undGletscher säumt. Auch dort ein ewiges Fluten und Zurückebben,und zwischen den beiden großen einander entgegenstrebendenMassenbewegungen, zwischen dem Leben und demTod, der schmale trennende Streifen vermeintlichen Festlandes,[144]das unbewegt und unbeweglich erscheint, aber doch ebensoin fortwährender Bewegung ist.
Nun begannen wir auch die Gewalt des Windes zufühlen. Mit wachsender Stärke braust er aus Osten vomBerg herab uns entgegen, böenartig und stoßweise, undzwingt uns bald, von unseren Tieren zu steigen, da diese nichtmehr vorwärts zu bringen sind, sondern bei jedem neuenWindstoß kehrtmachen und dem Sturm die unempfindlichereRückseite entgegenstemmen. Wir werfen den Tieren dieZügel über den Hals und gehen voran; sie folgen langsam,weit hinter ihnen die beiden Arrieros mit den Lasttieren,die ihre Bürden immer noch weiter bergan schleppen, so sauerihnen auch das Atemholen in der dünnen Höhenluft mitSchnauben und Keuchen und zitternden Flanken wird. Weithinter den Tieren der Trupp meiner zum Lastentragen angeworbenenPeones, die wegen der Ausdauer der Tiere überhauptnicht in Tätigkeit traten, und am Schluß der trägeDolmetscher Santiago und der alte »Führer«, der nie vorherin dieser Bergeshöhe gewesen war.
Mein etwas nördlicher Kurs brachte uns bald an denSteilrand der tiefen Schlucht des Puca-huaico. Ich sah,daß sie sich hier nur mit großem Zeit- und Kraftverlusttraversieren ließ, darum blieb ich auf unserer bisherigenSeite und stieg ostwärts, den Schneefeldern entgegen, weiterbergan.

Wir blieben auf dem »Arenal« bis zur Höhe von 4576Meter, wo das erste Neuschneefeld begann und die hoheStirn eines ältern Lavastroms ein kleines, ziemlich ebenesAschenfeld halb umschließt. Hier an den Felsen, bergwärtseinigermaßen geschützt gegen den scharfen Wind, wurden diebeiden Zeltchen aufgestellt und mit schweren Steinenringsum verankert. Kochwasser lieferte uns der Schnee,Trinkwasser hatten wir in einem Fäßchen mitgebracht, undFeuerholz hatten wir von den letzten verwetterten Chuquiraguasträuchernmitgenommen. In unserer Zeltumgebungwuchs nichts mehr als ein versprengtes Exemplar vonSenecio microdon, ein zwerghaftes, pelzhaariges Polsterchen,und eine einzige Hypochaeris sessiliflora, einekaum 2 Zentimeter hohe kleine Rosette.

Sobald alles in Ordnung gebracht war, schickte ichMenschen und Tiere nach der Hacienda Ilitio zurück, vonwo aus sie uns in zwei Tagen wieder abholen sollten. Wirwaren unser vier geblieben; außer uns beiden Europäernmein Faktotum Santiago und ein junger gutmütiger, inWollponcho und doppelte Schaffellhosen gepackter Indianer,der Feuer machen, Schnee schmelzen, Reis kochen undwährend unserer Hochtour das »Haus« hüten sollte.
3. Die Besteigung.
Am Abend ward uns ein unbeschreiblich farbenzauberischerSonnenuntergang zuteil. Der sinkende Sonnenball verwandelteden Himmel in ein wahres Feuermeer von Rot,Purpur, Gelb, Orange, Violett und Grün und versetzte diealten Vulkane und ihre Lavaströme in rote Glut, als wärensie wieder lebendig geworden wie vor Jahrtausenden. Langsamerstarb dann das Feuer in immer blaueren Tönen und wurdeschließlich durch pechschwarze Wolken ganz ausgelöscht, dievom interandinen Hochland heraufzogen. Wir erwartetenein schweres Gewitter, aber bald begann es bei stillem Wetterleicht und friedlich zu schneien. Die Nacht im warmen Zeltverlief in guter Ruhe. Nur weckte mich mehrmals ein tiefes[146]Brummen und Donnern (Bramidos), das vom Krater obenherabkam, am meisten vergleichbar dem dumpfen Brauseneiner fernen Meeresbrandung. Gegen Morgen klärte sichdas Wetter ganz auf, aber damit stellte sich bei –2°ein schneidender Fallwind aus den oberen Bergregionen ein,der uns hart anpackte. Bei Tagesgrauen um ¾6Uhrmachten wir uns auf den Weg. Ich nahm diesmal alsdritten Mann Santiago mit, der ja schon auf dem Firn desChimborazo Proben ganz tüchtiger Leistungsfähigkeit abgelegthatte – wenn er mußte – und uns jetzt durch das Tragendes Proviants und einiger Instrumente entlasten sollte. Ichhatte ihn in meine alpine Reservekleidung gesteckt und miteinem festen langen Stock versehen und band ihn trotz seinesWiderstrebens mit an das Gletscherseil.
Zwei Stunden ging es auf den unteren, mit 20 bis 30°Neigung noch mäßig steilen Schneehängen ganz gut. DerSchnee war fest und ließ sich gut treten. Einen Fuß tiefunter der Oberfläche lag das blanke Eis. Dann aber begannder kalte, um die Ostseite des Berges herum uns direktentgegenfauchende Wind, der uns bisher nur lästig gewesenwar, uns mit steigender Stärke wirkliche Beschwerdenzu machen. In der Höhe tobte er noch viel heftiger. Wirsahen, wie er oben den feinen pulverigen Hochschnee inlangen grauen Fahnen wie Nebel über die Firnkämme bliesund wie der windgepeitschte Schneestaub in Tausenden vonschmalen Rieselbändern über die Firnhänge förmlich herabgeflossenkam. Gleichzeitig führte uns der Wind einen penetrantenGeruch von schwefeliger Säure entgegen als erstenunfreundlichen Gruß von dem noch 1000 Meter über unsverborgenen Gipfelkrater.
Bisher waren wir auf der Südwestseite des Berges im[147]Morgenschatten gewesen. Gegen 8 Uhr blitzten die erstenSonnenstrahlen gerade über den Gipfelrand herüber undzauberten unter Mitwirkung der aus dem Krater aufsteigendenWasserdämpfe eine wunderbare orangegelbe Aureole umden silberweißen Scheitel des Vulkans. Die Atmosphäreflimmerte und zuckte wie über unseren heimatlichen sommerlicherhitzten Feldern und Wegen. Der Reflex des Sonnenlichtsauf den Firnfeldern wurde bald so enorm, daß wir trotzallen Einsalbens im Gesichtsausschnitt unserer Schneehaubeneinen starken Gletscherbrand davontrugen und die Augen trotzder grauen Schneebrillen sich röteten. In den mittlerenBergesregionen sahen wir nun die Firnhänge im Sonnenlichtwie Spiegel funkeln, so daß mir lebhaft das Märchen vomgläsernen Berg und der verwunschenen Prinzessin in denSinn kam, die von dem hinaufkletternden Ritter unterPreisgabe seines kleinen Fingers erlöst wird. Die Firnhängewaren dort, wie wir beim Näherkommen erkannten, auchan der Oberfläche total vereist. Darum begann nun dasStufenschlagen. Stellenweise war auf dem eisigen Firnder feine Hochschnee in zackigen Lappen angeweht, die sich oftin langen Reihen hinzogen wie eine vielbewegte Barometerkurveund unter dem Fuß leicht wegbrachen. Entsprechendder Gleichmäßigkeit des unter dem Eis liegenden Bergkörperswar die Zahl der Spalten gering; erst weit oben,wo es sehr steil wurde, nahmen sie zu.
Das spröde Eis splitterte beim Stufenhauen wie Glas.Das gab oft schwere Arbeit für Herrn Reschreiter, der dielängste Zeit als vorderster Mann am Seil das Stufenschlagenbesorgte, während ich meist als zweiter für meinen mitweniger guten Nagelschuhen versehenen Hintermann dieStufen vertiefte, gelegentlich den Ausgleitenden festhielt[148]und im übrigen Notizen schrieb, Instrumente ablas und mitder Handkamera Aufnahmen machte. Wir haben trotz möglichsterVermeidung der ganz aperen Stellen über 2000 Stufengeschlagen, und so ging es recht langsam im Zickzack mit35 bis 40° Steigung weiter aufwärts.
Rückwärts gewandt, traf der Blick auf das blendendweiße wallende Wolkenmeer unter uns, das nur durchwenige Lücken die tief darunter versenkten, in violette Schattengetauchten Hochebenen durchschimmern ließ, und im Südenin weiter Ferne auf den inselgleich aus dem Wolkenmeeraufragenden Schneedom des Chimborazo. Östlich aber vonihm hob sich über die weiße Wolkenschicht eine noch vielhöhere, teils dunkelgraue, teils kupferbraune pilzförmigeMasse gegen den lichtblauen Horizont, die ungeheuere Eruptionswolkedes Sangayvulkans (5323 Meter). Ihre Höhekonnte ich auf annähernd 10000 Meter schätzen.
Um 10 Uhr, nach viereinhalbstündigem Steigen, hieltenwir kurze Rast; wir waren mit 5278 Meter Höhe demGipfel, den wir am Tag vorher in 4 bis 5 Stunden zu bezwingengedacht hatten, genau zur Hälfte nahegerückt: rund700 Meter lagen unter uns bis zum obersten Lager, rund700 Meter über uns bis zum Kraterrand. Noch waren wirgut bei Kräften, aber die Einwirkung der großen Höhe spürteich doch in gänzlicher Appetitlosigkeit und in heftiger, auchbeim Ausruhen fortdauernder Herzpulsation: 125 Schlägein der Minute. Dazu stellte sich bald ein anderer Feind ein,der Nebel. Schon lange hatte die wachsende Sonnenwärmedie Dünste der unteren Bergregionen in wallende Bewegunggebracht. Langsam waren die Nebelschwaden bergauf vorgerückt,aber immer wieder vom Ostwind der Höhe zurückgeschlagenworden. Nun waren sie, während der Wind etwas[149]nachließ, plötzlich da und gaben das eroberte Terrain stundenlangnicht wieder frei. Auf unseren vorherigen Hochtourenhatten wir die Erfahrung gemacht, daß man in den Gipfelregionender Kordilleren zwischen 10 oder 11 Uhr vormittagsund 4 Uhr nachmittags fast immer mit Nebel rechnenmuß. Ein ganz klarer Tag ist eine außerordentliche Seltenheit,die uns auch in der besten Jahreszeit nicht ein einzigesMal beschert war. Hier aber auf dem Cotopaxi warenwir besser daran als auf den anderen Schneebergen, weilhier am Tag ein Irregehen im Nebel kaum möglich ist. Beider ungemein gleichmäßigen Form des Bergkegels führtein konsequentes Aufsteigen auf dem steilsten Firnhang sicherzum Ziel, falls die Kräfte ausreichen und falls man nichtauf offene, brückenlose Spalten trifft, die in der Nähe desKraterrandes häufiger werden.
Wir hielten also unsern bisherigen Kurs auf dem steilstenSchneehang vier weitere Stunden voll mühseliger Steigarbeitein, bis wir gegen 2 Uhr bei einem Aufreißen der Nebelhüllennördlich von uns einige dunkle Wände aus dem Firnemporragen sahen, die wir schon am Morgen von unten alseine dem westlichen Oberrand des Berges ziemlich naheliegendeFelsmasse beobachtet hatten. Jetzt erkannten wir,daß von dort aus inmitten der Westseite die Erkletterungdes Kraterrandes weniger schwierig war als auf unsererSüdwestseite, wo uns weiterhin große Spalten entgegendrohten.Also wurde vorsichtig über halb verwehte Firnklüftehinüber traversiert und am Fuß der Felsen in5828 Meter Höhe eine Viertelstunde gerastet. Die Steilwandist ein schneefreies, kleines Stück der Berglehne selbst,etwa 30 Meter hoch und 100 Meter breit, eine dunkelgrauezermürbte Lava, die an vielen Stellen von hellgrauen,[150]strohgelben und lichtgrünen Krusten überzogen ist. Zu meinerÜberraschung fühlte sich das Gestein heiß an, und nun sahich auch aus vielen schmalen Rissen und Löchern dünneDampfstrahlen austreten. Daher also die Schneefreiheit unddie Krustenbildung. An den Rändern der Felsen hingen großeEiszapfen und lagen dicke Eisharnische, und darüber stieg derFirnhang steil weiter zu dem noch unabsehbaren Gipfel hinauf.
Hier erklärte unser dritter Mann, Santiago, er sei amEnde seiner Kräfte, er könne nicht weiter mitgehen und wolleauf unsere Rückkehr warten. Er streckte sich an den warmenFels und schlief ein. Wir ließen die Rucksäcke mit Mäntelnund Proviant bei ihm, steckten nur das Allernötigste zu unsund lösten das Seil, da auch für uns beide ein Zusammensteigenam Seil über die brüchigen Felsen unpraktisch war.Dieses Stück Felsenkletterei war, obgleich an und für sicheine greuliche Arbeit, doch durch die Abwechslung derBewegung und der Umgebung eine wahre Erholung nachdem bisherigen achteinhalbstündigen unaufhörlichen Schneetretenund Eishacken. In den oberen Teilen der Felsenwurde die Lava ganz schlackig und löste sich beim Anstoßenin Schollen ab. Es sind Reste der Lavaströme, die sich vomKraterrand über die Steilwände herabgewälzt haben und nachZerreißung ihres Zusammenhangs den jähen Berghang hinuntergerutschtsind. Die Hände bekamen hier mehr zutun als die Eispickel; oft ging es nur auf allen vieren.Darüber im Schnee ließ es sich wieder besser an. Selbstverständlichspürten wir nachgerade die große Luftdünne undeine starke Ermüdung, ich noch mehr als mein zehn Jahrejüngerer 35jähriger Kamerad, aber von den schlimmen Erscheinungendes Soroche, der eigentlichen Bergkrankheit,blieben wir verschont. Auf die große Lufttrockenheit reagierten[151]von Zeit zu Zeit die Lungen und der Kehlkopf mit einemstoßhaften, krampfartigen Husten.
Der oberste Bergkegel steigt von etwa 5750 Meter anmit 40 bis 42° empor. Da das Nebelwehen nachgelassenhatte, konnten wir minutenlang die noch zu bewältigendenFirnfelder bis zu einem feinen Grat der hohen Nordwestkuppeübersehen. Das Ziel schien noch so weit, daß mir einigeMomente ernstliche Zweifel aufkamen, ob wir bei der vorgerücktenStunde – es war ½3Uhr geworden – denKraterrand erreichen könnten, ohne uns der Gefahr einernächtlichen Verspätung auszusetzen, denn die Sonne gehtja hier unter dem Äquator um 6 Uhr unter, und um ½7Uhrist bereits finstere Nacht; man hat also höchstens 13 StundenTageshelle von ½6Uhr früh bis ½7Uhr abends. DerGedanke jedoch, nach soviel Arbeit so nahe am Ziel ohneschwere Widerstände in Eis oder Fels oder Luft die Waffenstrecken und sieglos umkehren zu sollen, trieb uns vorwärts.
So kamen wir in kurzem in die oberste Region, wo dieSteilhänge in große Firnstufen und diese in lange Rückenund Hügelreihen übergehen, lauter Schnee und Eis vonsonderbaren, blumenkohlartigen Oberflächenformen, die immerphantastischer wurden, je mehr wir uns dem Gipfelkraternäherten. Die Stufenbildung des Firns ist zweifellos durchdarunterliegende Lavawülste und Lavatreppen verursacht, dievon den Magmaergüssen des Kraters hier oben am Randeerkaltet hängengeblieben sind, während die Hauptmassenhinabgerutscht sind.

Noch eine Viertelstunde lavierten wir mit äußerster,nach Pausen der Ermattung immer wiederholter Konzentrationvon Kraft und Willen durch die wie riesige Wogenimmer wieder vor uns aufsteigenden Firnhügel. Aber die[152]Oberfläche war fest und ließ den Fuß sicher auftreten.Herr Reschreiter war ein Stück voraus, ich zurück beimPhotographieren der wundersamen Firngebilde, die hier dieForm von weißen Korallenbänken hatten. Da höre ichunfern über mir seinen Ruf: »Der Krater ist da!« undbin in einigen Minuten bei ihm.

Unmittelbar vor uns öffnet sich die Erde, und ausschwindelnder Tiefe gähnt uns der ungeheure Schlund desGipfelkraters an. Mit einem Seufzer der Erleichterungund Genugtuung stoßen wir die Eispickel in den Firn undsetzen uns zu ruhigem Schauen auf einen Schneehügel.In wenigen Minuten ist alles körperliche Unbehagen verschwunden;eine angenehme körperliche und geistige Abspannung,nicht Ermüdung, kommt über mich, währenddie Sinne und die Beobachtungslust in alter Weise wiederrege werden. Und damit wächst auch erst das rechte Triumphgefühlüber den schwer erkämpften Sieg empor, das mirim Moment der Zielerreichung gänzlich gefehlt hatte.

Zuerst stehen wir ratlos vor den ungeheuren Dimensionen,für die uns jeder Maßstab in dieser Landschaftfehlt. Wir können nur unser eigenes Körpermaß auf unsereUmgebung übertragen. Der Krater ist etwas elliptisch, seinelängste Achse (Nord-Süd) 750 bis 800 Meter, seine kurzeAchse (Ost-West) 500 bis 550 Meter lang. Dabei hat er,soweit man hinuntersehen kann, eine Tiefe von 400 bis500 Meter, d. i., um einen geläufigen Vergleich zu ziehen,etwa die dreifache Höhe des Kölner Doms. Zu dieser Tiefefallen von allen Seiten die inneren Kraterwände jäh mit60 bis 80° Neigung ab, nach unten trichterförmig zusammengezogen,mehrfach in Stufen übergehend und auf diesenStufen und zahllosen Gesimsen so viel Raum lassend, daß[153]sich auf ihnen wieder Schnee- und Eisbänke festsetzen können.Von ihnen wie von den Firnhügeln des Kraterrandes hängengigantische Eiszapfen von 20 bis 30 Meter Länge und2 bis 3 Meter Dicke, stellenweise in wahren Baldachinen,über den finsteren Abgrund hinunter. Im Gegensatz zu denhellen Schnee- und Eismassen stehen die felsigen Kraterwändein düsteren vielfältigen Farben da. Jede der horizontalübereinanderliegenden Bänke von Lava und von Tuff- undLapillischichten ist anders gefärbt. In den oberen Lagenherrschen rötliche Töne vor, darunter sind graue in derMehrzahl, und unter diesen, wo die aufsteigenden Dämpfenoch heiß sind, den Fels zerfressen und Krusten absetzen,dämmert das Gestein graugrün, hellgrau, gelb und auchweiß. Gips und Inkrustationen von Schwefel scheinen dortstark vertreten zu sein.

In der Tiefe von etwa 400 Meter ist nichts mehr zuerkennen als emporquellender weißer und hellgrauer Dampf;doch ist dieser jetzt nicht besonders dicht und stark. Von Zeitzu Zeit läßt sich im Innern ein dumpfes Grollen vernehmen,wie wir es schon beim Aufstieg an der Außenseite gehörthatten. Auch war einmal ein lautes rollendes Getöse vernehmbarwie von einer fernen niederbrausenden Lawine,worauf eine große Dampfwolke emporquoll, den ganzenKrater erfüllte und uns einige Sekunden in eine penetranteAtmosphäre von schwefeliger Säure einhüllte. Dann aberblieb es wieder bei dem ununterbrochenen mäßigen, meistgeräuschlosen Aufsteigen von balligen Dampfsäulen wie auseinem riesigen, ruhig siedenden Kochkessel. Ob die Hauptmassedes Dampfes im Grund des Kratertrichters auseinem einzigen, weit hinein offenen Schacht aufsteigt, oderob er aus einem verschütteten Kratergrund durch zahllose[154]Fumarolen und Solfataren zwischen Schutt und Blöckenhervordringt, konnten wir nicht klar erkennen. Mir schiendas erstere der Fall zu sein.

Ein wundervoller Kontrast: dieser ungeheure heißdampfendeKraterschlund und seine obere Firn- und Eisumwallung.Wir können sie auf den uns gegenüberliegendenKraterrändern auch von ihrer Innenseite überblicken. Hattenunsere Vorgänger hier oben nur relativ wenig oder infolgeneuer Eruptionen gar keinen Schnee angetroffen und denKraterrand als einen 5 bis 6 Meter breiten Wall vonnackten Lavablöcken oder Auswürflingen gesehen, so umschließenjetzt auf allen Seiten Firnkuppen und Eisgrate denKraterkessel als eine Krone, wie sie so groß und so herrlichnur des Königs aller Vulkane würdig ist. Die Schneeansammlungenhaben den Kraterrand oft um das Doppelteverbreitert. Von 10 bis über 60 Meter hoch lagern dieFirn- und Eismassen auf dem Gestein und brechen zumKrater hin in steilen, oft überhängenden Wänden ab. Anmehreren Stellen sieht man frische Brüche, von denengewaltige Eislawinen in die kochende Tiefe hinabgestürztsind[1].

Was aber diese über 6000 Meter hohe Schneelandschaftdes Cotopaxigipfels in ihrem äußern Aussehen von allenanderen mir bekannten alpinen Schneelandschaften unterscheidet,das sind die höchst seltsamen Oberflächenformendieser hügeligen Firnmassen. Alle diese runden, breiten Firnhügel[155]und Firnrücken bis etwa 150 Meter weit auf denAußenmantel des Kraters hinab sind überzogen von Millionenrunder finger- bis armlanger Firnblätter, die gleichmäßigdie Hügel und die Mulden bedecken und aussehen wiedicke hellgraue Schuppen oder Schindeln. Meist sind die einzelnenBlätter wieder mehrfach gelappt gleich den Blätternder Feige oder des Weinstockes. An anderen Stellen gleichensie hängenden Straußenfedern, wieder an anderen den Korallenbänkender Madreporen. Alle Formen sind gerundet,nirgends eckig, und überall ist ihre Oberfläche krustig undpelzig, nicht glatt vereist wie die Firnoberfläche in dentieferen Regionen des Bergkegels. Auch in Ecuador habeich diese eigenartigen Firngebilde nirgends wieder gesehen. Essind sicherlich nicht Schmelzformen der Sonne oder desWindes, sondern Kristallisationen des aus dem Krateraufsteigenden Wasserdampfes, also eine Art Rauhfrost, wieer ähnlich auch bei uns daheim einmal vorkommt. Hier undda, wo in diese immer in Bewegung befindlichen FirnmassenSpalten und Klüfte gerissen sind, sind auch diese oftvon den Rauhfrostblättern überzogen und teilweise überbrückt,was ganz wunderbare Effekte von Schneegirlanden undSchneelauben hervorzaubert. An einigen anderen Stellenwieder sind tiefe dolinenartige Löcher oder Höhlen von einbis zwei Meter Durchmesser teils lotrecht, teils schief in denFirn eingesenkt, die ebenfalls von solchen Schneeblätternüberhangen sind, aber ihre Entstehung, wie mir scheint,weder Bewegungen im Firn noch von oben einwirkendenSchmelzagentien verdanken, sondern warmen Stellen desfelsigen Untergrundes, wo heiße Dämpfe aus Löchern undSpalten austreten.

Die mächtigste Auftürmung der Firnmassen und damit[156]der höchste Gipfel des Berges liegt auf der Nordseite desKraterrandes. Dort erhebt sich der Firn in einer stolzenPyramide etwa 65 Meter hoch über den Kraterrand, dessenfelsige Oberkante wir an dem innern Absturz deutlich erkennenkönnen. Von der westlichen Böschung dieses höchstennördlichen Schneegipfels zieht eine wundervolle scharfe Firnschneidezu dem flachen Firnrücken der Westseite hinab, aufderen mittlerm Teil wir stehen. Unser Standpunkt, dessenHöhe ich barometrisch auf 5940 Meter gemessen habe, istungefähr 65 Meter niedriger als die höchste nördliche Gipfelkuppe.Dieser würde damit eine Höhe von 6005 Meter,etwas mehr oder weniger je nach der aufliegenden Firnmenge,zuzusprechen sein.
Während unseres Aufenthalts auf dem Kraterrand bliesder Ostsüdostwind stetig, aber mäßig, so daß es bei –2°ganz gut auszuhalten war. Beim Schauen, Messen,Schreiben, Photographieren, Skizzieren hatte aber keiner vonuns beiden an das Schwinden der Zeit gedacht. Ich bekamdeshalb einen gelinden Schreck, als ich, endlich nach der Uhrsehend, fast 4 Uhr ablas. Wir hatten also nur noch2½Stunden Tageslicht für den Abstieg, wo uns der Aufstieg9½Stunden gekostet hatte. Eilig traten wir über die oberenFirnhügel den Rückzug an und rutschten bald über die obenerwähntenFelsen zu unserm wartenden Begleiter hinab, dersich unterdessen wieder erholt hatte. Ohne längern Aufenthalt,als die Seilbefestigung erforderte, ging es weiter undin unseren noch guterhaltenen Spuren flott bergab, indem wirauf den weicher gewordenen Firnhängen mit Springen undGleiten die zahllosen Zickzacks abschnitten, die wir bergaufwärtshatten treten und hauen müssen. Der Nebel hattesich sehr gelichtet, aber von Westen her rückte eine kolossale[157]schwarze Wolkenmauer auf uns los, als wollte sie uns erdrücken.Auf den unteren Schneefeldern der Westseite fußend,stieg sie vor uns kerzengerade himmelan, so hoch wie derCotopaxi selber und von der dahinterstehenden Sonne miteinem schmalen weißglühenden Rand umsäumt; ein wunderbares,nie vorher gesehenes Phänomen von unheimlicherGröße, Gestalt und Farbe. In unseren Alpen würde eineähnliche Erscheinung einen fürchterlichen Gewittersturm verkündethaben, hier auch in den Monaten der Regenzeit;aber jetzt im Verano löste sich das drohende Phantom in einwirbelndes Schneegestöber auf, das unsere Schritte nur nochmehr beflügelte. Einige Male verloren wir unsere alte, kaummehr zu erkennende Spur, fanden sie aber nach einigemKreuz- und Quergehen wieder und erreichten ohne weiternZwischenfall wirklich vor Sonnenuntergang bei ganz klargewordenem Wetter die Schneegrenze.
Nachdem wir das Seil abgelegt hatten, mußten wir unseinige Zeit mit Santiago abgeben, der sehr erschöpft war.Dann bummelten wir über die Felsen an unseren den Wegzeigenden Steinmännern vorbei zum Lagerplatz, dessen Rauchsäulewir längst bemerkt hatten, und waren noch vor gänzlicherDunkelheit bei unseren Zelten, wo uns der zurückgebliebeneIndianer mit Bangen erwartet hatte. Der Appetit,der mir den ganzen Tag gefehlt hatte, stellte sich nun inbeängstigender Stärke wieder ein, und nach Vertilgung allesvorhandenen Eßbaren schliefen wir, während es draußenwieder schneite und der Bergwind unsere steifgefrorenen,knisternden Zeltwände peitschte, in unseren molligen Pelzsäckenzwölf Stunden ohne Unterbrechung. Gegen Mittag desnächsten Tages kamen, wie verabredet, unsere Arrieros trotzfortdauernden Schneegestöbers mit den Tieren wieder[158]herauf und brachen unser Lager ab, während wir gemütlichvorausschlenderten.
Weiter unten enthüllte sich uns noch einmal der Cotopaxiin seiner ganzen Schönheit, und dankbar kehrte unser Blickimmer wieder zu seinen silberschimmernden Höhen zurück.Das Schneegestöber der letzten Nacht hatte nicht viel ausgerichtet.Die Sonne hatte seine Spuren und die derSchneefälle der beiden Vortage in den unteren Regionengrößtenteils weggewischt. Darum zeigte sich jetzt der Randdes Schneemantels tief gezackt und eingeschnitten. Jeder derschwarzen Einschnitte ist ein wallförmiger Lavastrom. Wie dieFangarme eines gigantischen Polypen halten alle diese dunklenLavabänder den Bergkörper umklammert. Ihr zerklüftetes,durchlässiges Gestein und bei den jüngsten vielleicht nochetwas Eigenwärme lassen den Schnee der niederen dünnerenRandlagen nicht lange auf ihnen liegenbleiben. Die Höhedieser zur Zeit der größten Abschmelzung sich zeigenden»wirklichen« Schneegrenze habe ich gemessen: auf der Ostseitebei 4550 Meter, Südseite 4730 Meter, Westseite4850 Meter, Nordseite 4900 Meter; d. h. sie hat sich, seitsie vor 30 Jahren zuletzt gemessen wurde, um 100 bis180 Meter aufwärts verschoben. Von alten Gletscherspurenist am Cotopaxi nichts zu bemerken. Er ist dafür zu jung.
Am Spätnachmittag des 15. Juli ritten wir, schwerbeladenmit geologischen Handstücken, Pflanzen und sonstigerAusbeute, wieder im Pfarrhof von Mulaló ein. Der Pfarrernahm lebhaftes Interesse an unserm Erfolg und Bericht.Die Dorfbewohner aber, die sich auf die Nachricht vonunserer Rückkehr einfanden, um ihre Neugierde zu stillenund zu klatschen, zogen, nachdem sie viel Dummes gefragt,uns wenig zugehört, viel geschwatzt, viel getrunken, geraucht[159]und gespuckt hatten, abends wieder heim mit Kopfschüttelnund Achselzucken. Keiner von ihnen glaubte unseren Berichten.Ich hörte, wie einer draußen sagte: »Kein Mensch ist nochauf dem Cotopaxi gewesen. Vor 20 bis 30 Jahren erzähltenes auch schon einige Europäer, aber sie haben alle gelogen.Und nun lügen diese beiden Alemanes ebenfalls. SolcheBerge kann kein Mensch ersteigen, und wenn einer dochhinaufkäme, würde er oben sterben.« Das ist die Überzeugungder bergscheuen Ecuatorianer von jeher gewesen,und sie wird es voraussichtlich immer bleiben.
Fußnoten:
[1] Während des Ausbruchs von 1911 schmolz diese Eiskrone wegund ließ die nackten Felsen des Kraterrandes zutage treten, wodurch sichauch die Höhe des Berges etwas verminderte. Inzwischen dürfte sichdie Firnhaube zum Teil wenigstens wieder neu gebildet haben.
Alte Reisen und Abenteuer
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Bd. 2 Ulrich Schmidel, Abenteuer in Südamerika.Bearb. von Curt Cramer
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Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespreadpublic support and donations to carry out its mission ofincreasing the number of public domain and licensed works that can befreely distributed in machine-readable form accessible by the widestarray of equipment including outdated equipment. Many small donations($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exemptstatus with the IRS.
The Foundation is committed to complying with the laws regulatingcharities and charitable donations in all 50 states of the UnitedStates. Compliance requirements are not uniform and it takes aconsiderable effort, much paperwork and many fees to meet and keep upwith these requirements. We do not solicit donations in locationswhere we have not received written confirmation of compliance. To SENDDONATIONS or determine the status of compliance for any particular statevisit www.gutenberg.org/donate.
While we cannot and do not solicit contributions from states where wehave not met the solicitation requirements, we know of no prohibitionagainst accepting unsolicited donations from donors in such states whoapproach us with offers to donate.
International donations are gratefully accepted, but we cannot makeany statements concerning tax treatment of donations received fromoutside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
Please check the Project Gutenberg web pages for current donationmethods and addresses. Donations are accepted in a number of otherways including checks, online payments and credit card donations. Todonate, please visit: www.gutenberg.org/donate
Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the ProjectGutenberg™ concept of a library of electronic works that could befreely shared with anyone. For forty years, he produced anddistributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network ofvolunteer support.
Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printededitions, all of which are confirmed as not protected by copyright inthe U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do notnecessarily keep eBooks in compliance with any particular paperedition.
Most people start at our website which has the main PG searchfacility: www.gutenberg.org.
This website includes information about Project Gutenberg™,including how to make donations to the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how tosubscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
FAQs
Where is the Project Gutenberg headquarters? ›
Starting in 2004, an improved online catalog made Project Gutenberg content easier to browse, access and hyperlink. Project Gutenberg is now hosted by ibiblio at the University of North Carolina at Chapel Hill.
Is the Gutenberg project legal? ›This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org.
Is everything on Project Gutenberg public domain? ›The vast majority of Project Gutenberg eBooks are in the public domain in the US. This means that nobody can grant, or withhold, permission to do with this item as you please. “As you please” includes any commercial use, republishing in any format, making derivative works or performances, etc.
How many books are in Project Gutenberg? ›Project Gutenberg is a library of over 70,000 free eBooks.
Where in the US can you see Gutenberg Bible? ›After centuries in which all copies seem to have remained in Europe, the first Gutenberg Bible reached North America in 1847. It is now in the New York Public Library.
What country does Gutenberg belong to? ›Johannes Gutenberg, in full Johann Gensfleisch zur Laden zum Gutenberg, (born 14th century, Mainz [Germany]—died probably February 3, 1468, Mainz), German craftsman and inventor who originated a method of printing from movable type.
What is the Project Gutenberg controversy? ›As a result of a German lawsuit, Project Gutenberg has blocked Germany from viewing the Gutenberg web site. The books in question are out of copyright in the United States, because at the time they passed into the public domain US copyrights were based on the period after publication rather than the author's life.
How much is a Gutenberg worth? ›The Gutenberg Bible originally fetched $5.4 million and is now worth $35 million. Recent estimates suggest a complete Gutenberg Bible could fetch up to $35 million at auction. Thus, this ancient artifact's value has soared over time, making it an excellent investment for bibliophiles and collectors.
Who owns Project Gutenberg? ›Who runs Project Gutenberg? The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a 501(c)(3) organization, which operates Project Gutenberg.
Why is Project Gutenberg free? ›Why are these books free? Copyright For the most part, copyright protection under U.S. law on the materials distributed by Project Gutenberg has expired. (They may still be copyrighted in other countries).
Can you legally sell public domain books? ›
Is It Legal to Make Money off Public Domain Books? Yes, it is. As long as you are sure that the book is in the public domain, there are no restrictions. Just make sure it is unique enough and adds value to your readers so that people would want to buy it.
Is it legal to print and sell public domain books? ›A public domain book is one that is not covered by intellectual property rights or copyright, usually because the rights have expired. Once a book enters public domain, it can be reprinted and distributed without the need to get permission from the original author.
What is the most important book Gutenberg printed? ›Johann Gutenberg's Bible is probably the most famous Bible in the world. It is the earliest full-scale work printed in Europe using moveable type.
How many pages can Gutenberg print in one day? ›The Gutenberg printing press could produce up to 3,600 pages per day.
How do I get my book on Project Gutenberg? ›Use the author/title search boxes on every page at www.gutenberg.org to find eBooks you are interested in. Download to your computer, and transfer (i.e., “side load”) to your device. This might be done with a USB cable, Bluetooth, or another method.
How many Gutenberg Bibles are left? ›Only 49 copies have survived to today. Out of some 180 original printed copies of the Gutenberg Bible, 49 still exist in library, university and museum collections. Less than half are complete, and some only consist of a single volume or even a few scattered pages.
What religion uses the Gutenberg Bible? ›The Gutenberg Bible, the first bible printed using a modern printing press, was not an underground publication but a widely available and well-known one in the 1450s. Therefore, especially since it used the Vulgate translation that was common in bibles at the time, it was very much Catholic.
What is the oldest book in existence? ›A Buddhist holy text, the Diamond Sūtra is considered to be the oldest surviving dated printed book in the world. Found in a walled up cave in China along with other printed materials, the book is made up of Chinese characters printed on a scroll of grey printed paper, wrapped along a wooden pole.
What language did Gutenberg speak? ›Johannes Gutenberg spoke his native dialect of German, as well as Latin. German was not a standardized language during Gutenberg's lifetime.
Why was Gutenberg exiled? ›We do know that Gutenberg was born into a wealthy patrician merchant family and he grew up learning the trade of goldsmithing. In 1411, the Gutenbergs were exiled from Mainz following an uprising against the patrician class.
What did Gutenberg actually invent? ›
Does Harvard have the Gutenberg Bible? ›The Harvard copy, printed on paper, is one of the 48 surviving copies, only 23 of them complete. It is bound in two volumes and one is always on display in the Harry Elkins Widener Memorial Rooms. A library visitor views the volume of the Gutenberg Bible on display in the Widener Memorial Room.
Why was Gutenberg unsuccessful? ›Why are they both important? Gutenberg's invention did not make him rich, but it laid the foundation for the commercial mass production of books. The success of printing meant that books soon became cheaper, and ever wider parts of the population could afford them.
Is Project Gutenberg blocked in Italy? ›Since May 2020, access to the Gutenberg book publishing website has been blocked in Italy (in compliance with a decree of the court of Rome) over copyright violation.
What version of the Bible did Gutenberg print? ›The text of the Gutenberg Bible is the Latin translation known as the “Vulgate,” which was made by St. Jerome in the fourth century. The Bible is printed throughout in double columns, for the most part, with forty-two lines to a page. The capital letters and headings are ornamented by hand in color.
What's the most expensive Bible ever sold? ›A Hebrew Bible more than 1,000 years old has sold for $38.1 million (approximately €35.23 million), setting a record for the most valuable manuscript ever sold at auction.
How did the Gutenberg Bible affect Christianity? ›While the Gutenberg Bible was primarily for elite clerical usage, it opened the door to mass and untutored readings and interpretations. The ability to produce hundreds, if not tens of thousands, of copies made the Bible a commercial opportunity and a cultural revolution.
Who are Gutenberg competitors? ›Who are Gutenberg Technology 's competitors? Alternatives and possible competitors to Gutenberg Technology may include Submittable , SwiftKey , and Betty Blocks .
Is Project Gutenberg a nonprofit? ›Project Gutenberg, in full Project Gutenberg Literary Archive Foundation, a nonprofit organization (since 2000) that maintains an electronic library of public domain works that have been digitized, or converted into e-books, by volunteers and archived for download from the organization's website, www.gutenberg.org.
Is Project Gutenberg the world's largest online library? ›Project Gutenberg is the world's largest digital library of over 57,000 free ebooks. Contains some of the most important literary works in history.
Why are Gutenberg Bibles so expensive? ›
Gutenberg Bibles are rare and valuable for a number of reasons. In addition to their scarcity and status as the first of their kind, they're books of exceptional quality. Gutenberg used finely crafted paper and vellum, as well as a special ink of his own invention that has remained vivid for centuries.
Did Gutenberg make books less expensive? ›They turned out more than 10 million copies of books in Latin and other European languages. Books became cheaper in price and available to anyone who could read them.
What is the best site to download eBooks for free? ›- Google Play (Books)
- Project Gutenberg.
- The Open Library.
- Bookbub.
- International Digital Children's Library.
- Read Print.
- The Literature Network.
The term of copyright for a particular work depends on several factors, including whether it has been published, and, if so, the date of first publication. As a general rule, for works created after January 1, 1978, copyright protection lasts for the life of the author plus an additional 70 years.
Can you publish a book and not sell it? ›Some authors may not be totally convinced to publish their book through a traditional stream to get their work out there. You don't have to traditionally publish a book in order to sell it. Although it can be a difficult undertaking, self-publishing is possible.
How do you find out if a book is still under copyright? ›Library of Congress and the US Copyright Office work in conjunction to create a searchable database for books. For books published after 1975, you can visit http://cocatalog.loc.gov. You enter an author or title and see the registration number and the year that the copyright was registered.
Can I record myself reading a book in the public domain? ›Nothing is stopping you from making an audiobook of a public domain book. You can even create an audio recording of you narrating the book yourself.
Can I sell public domain books on Etsy? ›Content in the public domain isn't just legal to download for free. It's also legal to sell.
What is entering public domain in 2023? ›Unpublished works that were not registered with the Copyright Office before 1978 enter the public domain after a life-plus-70 term. In 2023, unpublished works from authors who died in 1952 will therefore go into the public domain.
Where is the Gutenberg Bible stored? ›A: The Library of Congress has a copy of the Gutenberg Bible printed on vellum, which is the skin of a calf that is specially treated for use as a writing or printing surface. The Library of Congress is one of only five institutions with a complete, vellum copy of the Gutenberg Bible.
Who founded Project Gutenberg? ›
Michael Hart, founder of Project Gutenberg, invented eBooks in 1971 and his memory continues to inspire the creation of eBooks and related content today.
Which is the best online library in the world? ›Featuring over 36 million ebooks, the Internet Archive is possibly the largest digital library ever created. In addition to free ebooks, its catalog includes over 778 billion web pages and millions of videos, concerts, audio files, and software programs. Think of the Internet Archive as a digital time machine.
What is the most popular digital library in the world? ›The World Digital Library (WDL) is an international digital library operated by UNESCO and the United States Library of Congress.
What religion is the Gutenberg Bible? ›The Gutenberg Bible, the first bible printed using a modern printing press, was not an underground publication but a widely available and well-known one in the 1450s. Therefore, especially since it used the Vulgate translation that was common in bibles at the time, it was very much Catholic.
Are any Gutenberg Bibles left? ›Approximately 180 copies of the Gutenberg Bible were printed and first made available in about 1455. Of these, 145 were done on paper. The remaining thirty-five were printed on vellum (treated calfskin). Forty-nine Bibles survived into the twentieth century and only twenty-one of these are complete.
What is the oldest digital library in the world? ›Project Gutenberg, abbreviated as PG, is a volunteer effort to digitize, archive, and distribute cultural works. Founded in 1971, by Michael S. Hart, it is the oldest digital library.
What is the oldest digital library in the world with 50000 items collection? ›Project Gutenberg is an online library of over 60,000 free eBooks. It started as a volunteer effort to digitize, archive, and distribute cultural works, including the original text and any available translations. Founded in 1971, it is the oldest free digital library.